Foto: © 2023, Uta Kroder
Sigrid Wylach
Sie ist eine der ‚großen‘ Textildesignerinnen Deutschlands und ebenso international. Das ist für manche verwunderlich, weil sie vielen nicht ausreichend bekannt ist. Und das, obwohl man ihren Werken längst in Museen begegnen kann: Im Grassimuseum für angewandte Kunst in Leipzig1 ist ihr berühmter Teppich White Flower Teil der ständigen Ausstellung; im Stedelijk-Museum Amsterdam2 befindet sich ein Werk von ihr. Mehr Menschen ist Sigrid Wylach aber bekannt durch ihr langjähriges Wirken im Möbel- und Teppich-Imperium Knoll International3, das mit ihren Star-Designern Marcel Breuer, Mies van der Rohe und anderen Bauhaus-Künstlern bis heute eine Kultmarke darstellt und einsteht für hochwertiges innovatives Design.
Sigrid Wylach, geborene Schlemmermeier (* am 3. Dezember 1941 in Berlin), zeichnete schon als Kind sehr gerne und wusste früh, welche berufliche Richtung sie einschlagen wollte. Mit vierzehn Jahren, so berichtet sie selbst, legte sie alle ihre Zeichnungen in eine Mappe und fuhr zur renommierten Werkkunstschule Hannover. „Ach, Kind“, sagten sie dort. „Das ist ein wenig früh – kannst du in einigen Jahren wieder kommen?“ Das tat sie und erhielt über den sogenannten Begabtenparagraphen einen Studienplatz an der Werkkunstschule.
Die Vorwerk-Jahre
Dann zog es sie nach Wuppertal: Von 1963 bis 1968 war sie bei der Firma Vorwerk als Entwerferin und Patroneurin tätig.
Sie erhielt dort ausreichenden Freiraum, sich zu entfalten – so sehr, dass sie den Namen ihrer verehrten Großmutter Elisabeth Herold unauffällig in den Rand manchen Teppichs platzieren konnte.
Bayer AG
Ende der 60er Jahre bis 1972 arbeitete sie für die Bayer AG als freie Mitarbeiterin und entwarf Kollektionen für europäische Heimtextilien- und Teppichhersteller.
Zur Bewerbung der neuen Bayerschen Kunststofffasern wurde sie in die sogenannten Visiona-Ausstellungen einbezogen, die ab 1968 zur Kölner Möbelmesse stattfanden.
Sigrid Wylach arbeitete nun zunehmend freischaffend: Sie erhielt Aufträge von Industrieunternehmen, Banken, Hotels, Botschaften, Schiffen (Luxusliner SS Norway, Teppichprodukte für die Weisse Flotte der Reederei Knut Kloster) und sogar Moscheen und fertigte Teppiche an vom Entwurf und aquarellierter Skizze, über die farbliche Ausgestaltung bis hin zum Endprodukt.
1969 heiratete sie Wolfgang Wylach und wurde Mutter eines Sohnes, Andreas.
Sigrid Wylach Unikate
19725 gründete sie ihre eigene Teppich-Werkstatt mit bis zu sieben Mitarbeiter*innen, ihre Teppichmanufaktur in der Schnurstraße / Ecke Hebbelstraße in Wuppertal. Im Bild das Teppichsiegel von Sigrid Wylach Unikate. Das Logo mit dem Unterstrich unter dem Buchstaben S, der einen Teppich symbolisiert, wurde entworfen von ihrem neuen Lebensgefährten Coco Ronkholz.
Knoll International
1973/1974 erhielt sie von Knoll International den Auftrag, eine Teppichkollektion passend zu den wichtigsten Knoll-Möbeln zu entwerfen. Die Teppiche nehmen direkten Bezug auf Form und Gestaltung der Möbel. Berühmt ist bis heute ihr Teppich ‚White Flower‘, der für den Tulpentisch mit Tulpenstühlen von Saarinen geschaffen wurde. 1976 beteiligte sich am bekannten Teppich CET von Manfred Schulz. Die Kollektion mit Sigrid Wylachs Werken wurde bis in die späten 1980er Jahre von Knoll hergestellt.
Teppich-Galerie:
Fotos:
Teppich White Flower mit dem Tulpentisch mit Tulpenstühlen von Eero Saarinen, im Grassimuseum für angewandte Kunst in Leipzig, © JR50674 | Wikimedia
Flower in Grau: © zorrobot.de (www.zorrobot.de), mit frdl. Genehmigung
Teppich Eye: © JR50674, via Wikimedia Commons
Teppich CET von Sigrid Wylach mit Manfred Schulz, © Privat
Der Bonner ‚Presseclub‘
Große Beachtung fand auch Sigrid Wylachs Teppich ‚Zweistromland‘ für den berühmten Bonner ‚Presseclub‘: 1977 wurde die Villa in der Heinrich-Brüning-Straße 20 in Bonn Standort des Bonner Presseclubs als Begegnungsstätte zwischen Journalist*innen, Bundespolitiker*innen, Diplomat*innen und Wirtschaftsvertreter*innen. Ziel war es, sogenannte ‚Hintergrund-Gespräche‘ mit Politiker*innen sowie anderen Vertreter*innen des öffentlichen Lebens zu ermöglichen, ohne dass diese anschließend namentlich zitiert werden. Ursprünglich war der Club auf 50 privilegierte Journalist*innen begrenzt. Für die Kunstausstattung des „Presseclubs“ waren Direktaufträge paritätisch an viele Künstler*innen vergeben worden, unter anderem Sigrid Wylach, die im Erdgeschoss/Hochparterre den Gastraum gestaltete. Hier zeigt sich, wie passend sie den Teppich ausrichtete auf Raum und Interieur, sodass eine unverwechselbare Einheit entstand.
Von 1979 bis 1980 entwarf Sigrid Wylach als Coloristin Teppichkollektionen bei einem Teppichhersteller in Israel und arbeitete als Textildesignerin für Hersteller wie Van Heughten oder Mira X.
Ihre mehrjährige Assistentin Tanja Rauschtenberger7 erinnert sich:
„Sie hatte ein unglaubliches Gefühl dafür, was für einen Raum geeignet ist“.
1989 wurde sie mit der Ausgestaltung der Botschaft der UdSSR in Berlin beauftragt und vom damaligen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow nach Moskau und Leningrad eingeladen. 1992 fertigte sie Seidenteppiche (der Fujiyama bei Tag und Nacht) als Geschenk der Deutschen Bayer AG für die japanischen Bayer-Werke in Tokio an und verbrachte einige Zeit in Japan. Im Jahr 1994 präsentierte Sigrid Wylach auf mehreren internationalen Ausstellungen ungewöhnliche Teppiche wie den Klangteppich, eine interaktive Klanginstallation. Es folgte eine Ausstellung mit dem Architekten Bořek Šípek und der Japanerin Hiroko Koshino im Prager Schloss, deren Schirmherr Präsident Václav Havel war. Im selben Jahr bekam sie eine Einladung nach China und in die Mongolei.
Längst war sie international tätig. Sowohl für Unikate und Einzelanfertigungen als auch mit Kollektionen war sie in Asien und Afrika präsent und hatte gute Kontakte auch in den arabischen Raum: Sie schuf für die Flughafen-Moschee Dschidda einen großen Teppich mit arabischer Schrift. Zeit ihres Lebens knüpfte sie Kontakte und Freundschaften zu Architekt*innen, Designer*innen, Künstler*innen. Für den Designer Prof. Heinz F. Kroehl fertigte sie viele Teppiche an, war Bekannte des Malers Gotthard Graubner und der bekannten Architekten Jürgen Sawade und Sir James Frazer Stirling, für den sie 60 Büros ausstattete.
Sigrid Wylach designte ihre Teppiche nicht nur für Böden – vielmehr bezog sie oft den gesamten Raum ein – Wände, Decke und es existieren auch Teppiche, die von der Wand sich am Fußboden fortsetzen.
Deckenteppich, Unikat, © Privatbesitz, mit frdl. Genehmigung, anne-lampen.de
Zur Möbelmesse in Köln 2002 legte die Firma Markanto, die von Knoll die Rechte erworben hatte, aber die Kollektion weiterhin über den Knoll Fachhandel vertrieb, eine Reedition der Sigrid-Wylach-Knoll-Teppichkollektion auf.
Anfang der 80er Jahre bezieht sie ein neues Domizil an der Märkischen Str. 28, in eine hundert Jahre alte ursprüngliche Schnürsenkel-Fabrik8 – weiterhin unermüdlich kreativ.
Bis 2023 sollte sie hier in Wuppertal aktiv bleiben. Über 1000 Teppiche hat Sigrid Wylach bis heute entworfen.9
Geplant ist, nun ihrem in China lebenden Sohn zu folgen.
„Ich möchte neu anfangen“, sagt die 82jährige,
„und in China die Geburtswiege der Teppiche erkunden“.
Text: Uta Kroder
Vielen Dank für die große Unterstützung zum Auffinden Sigrid Wylachs und für biografische Details an die Künstlerin Tanja Rauschtenberger (www.tara-kultur.de)
Sigrid Wylach 2023 (re), mit ihrer ehemaligen Assistentin Tanja Rauschtenberger (li)
© Privatbesitz Tanja Rauschtenberger / https://www.tara-kultur.de
Quellen und Links:
Verortet im Stadtplan wurde Sigrid Wylach in der Märkischen Str. 28, Standort ihres Ateliers.
1 https://www.grassimak.de/museum/staendige-ausstellungen/jugendstil-bis-gegenwart/ (Stand: 16.06.2023)
2 https://www.stedelijk.nl/en/collection/77718-sigrid-wylach-portfolio (Stand: 16.06.2023)
3 https://www.knoll-int.com/home
4 https://www.markanto.de/blog/unser-neuer-teppich-egg-von-sigrid-wylach (Stand: 16.06.2023)
5 https://de.wikipedia.org/wiki/Sigrid_Wylach (Stand: 16.06.2023)
6 © BBR Archiv, mit frdl. Genehmigung
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.):
Kurzdokumentation von 200 Kunst-am-Bau-Werken im Auftrag des Bundes von 1950 bis 1979. BBSR-Online-Publikation 12/2014, Bonn, Dezember 2014, S. 154.
https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/bbsr-online/2014/DL_ON122014.pdf (Abruf: 06.07.2023)
Der Teppich wird in Kürze auch im Museum der 100 Orte zu sehen sein:
http://www.museum-der-1000-orte.de/
Die Onlinepräsentation „Museum der 1000 Orte“ ist ein Projekt des Bundesbauministeriums und des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung im Rahmen der Forschungsinitiative Zukunft Bau. Sie ist als wachsendes Angebot angelegt, in das nach und nach sämtliche im Auftrag des Bundes entstandenen Kunstwerke eingestellt werden.
7 Gespräch mit Tanja Rauschtenberger, 19.04.2023, https://www.tara-kultur.de
8 Vgl. Webseitenfragment https://www.sigrid-wylach-stiftung-ev.ch/?page_id=29 und https://www.sigrid-wylach-stiftung-ev.ch (Stand: 01.07.2023).
9 Gespräch mit Uta Kroder, 27.04.2023. Ein Werkverzeichnis ihrer Teppiche für Knoll International existiert und wurde vor einiger Zeit bei Christies versteigert (https://www.christies.com/zh/lot/lot-4598164 – Abruf 29.06.2023), ein Gesamt-Werkverzeichnis ist mehr als überfällig.
Fotos:
Porträt: Uta Kroder
Sigrid Wylach mit Teppich: © Uwe Kroll, Privatbesitz, mit frdl. Genehmigung Sigrid Wylach
Teppich White Flower mit dem Tulpentisch mit Tulpenstühlen von Eero Saarinen, im Grassimuseum für angewandte Kunst in Leipzig, © JR50674 | Wikimedia
Flower in Grau: © zorrobot.de (www.zorrobot.de), mit frdl. Genehmigung
Teppich Eye: © JR50674, via Wikimedia Commons
Teppich CET von Sigrid Wylach und Manfred Schulz, © Privat
Teppich Bonner Presseclub, © BBR Archiv, mit frdl. Genehmigung
Deckenteppich, Unikat: © Privatbesitz, mit frdl. Genehmigung, anne-lampen.de
Tanja Rauschtenberger und Sigrid Wylach © Privatbesitz Tanja Rauschtenberger / https://www.tara-kultur.de