Foto: © Thomas Hendrich – mit freundlicher Genehmigung
Ingrid Schuh
Ingrid Schuh wurde am 21.02.1942 in Wuppertal geboren. Sie ist die einzige Frau, die über einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren einen festen Platz in der ausschließlich von Männern dominierten Jazzszene in Wuppertal hatte. Und sie ist ein Stück Wuppertaler Jazzgeschichte.
Zur Geschichte des Jazz in Wuppertal
Während der Zeit des Nationalsozialismus war das Spielen und Hören von Jazz-Musik verboten und wurde bei Verstoß auch bestraft. Ein Großteil der Jazz-Musiker*innen hatten Berufs- und Auftrittsverbot, sie konnten nicht Mitglied der Reichsmusikkammer sein und gingen ins Exil. Viele junge Menschen wollten aber Jazz und Swing hören. Es gab die sogenannte „Swing-Jugend“ oder „Swing-Heinis“, die sich durch ihre Musik, Tanzstil und Kleidung ausdrückten. Sie ließen sich ihre Musik nicht verbieten. Auch in Wuppertal wurde mit Vorsichtsmaßnahmen Jazz gespielt und gehört, z.B. in der „Engelbertsklause“ oder im „Café Wien“ im Rathaus. Mit Kriegsende kamen 1945 erst die Amerikaner und kurz danach die Engländer als Besatzungsmacht nach Wuppertal. Die Soldaten wollten „ihre“ Musik hören. Bald entstanden die ersten Musik-Clubs, in denen Swing und Jazz gespielt wurde. Das nach einem Bombenangriff fast völlig zerstörte Thalia-Theater wurde 1950 wiederaufgebaut und eröffnet. Alles, was national wie international Rang und Namen hatte, trat im Thalia-Theater der 1950er Jahre auf. Zu den großen Highlights gehörte der Auftritt von Louis Armstrong im Oktober 1952. Es begann die Zeit der Clubs in Wuppertal. Überall im Tal entstanden in Kellern, Bunkern und Baracken Jazz-Clubs. 1958 gründete Dieter Fränzel mit einigen Jazz-Freunden den Club im Hochbunker des Nachbarschaftsheims in Wuppertal. Hier kam die damals 17-jährige Ingrid Schuh in Kontakt mit der Jazz-Musik.
Sie erinnert sich: „Ich war kaufmännischer Lehrling in einem Radio- und Schallplattengeschäft auf der Paradestraße. Kenneth Spencer, der in Wuppertal sehr beliebte schwarze Sänger, gehörte zu unseren Kunden. Mit ihm habe ich gesprochen und er hat mir von der Jazzmusik erzählt. Er erzählte von dem Bunker, in dem sonntagmorgens die Konzerte stattfanden, und ich bin alleine dahingegangen. Das war für mich unglaublich spannend. Ich fühlte mich hier aufgehoben, und meine Eltern waren glücklich, dass ich meine Freunde hier gefunden hatte.“
Sie lernte Dieter Fränzel kennen und es begann eine Zeit der äußerst produktiven Zusammenarbeit. Mit anderen Jazz-Freunden gründeten sie die „Katakombe“, ein Jazz-Club am Alten Markt in Barmen. Sie hatten eigenhändig einen 500-jährigen Gewölbekeller auf einem früheren Trümmergrundstück freigeschaufelt und provisorisch zum Jazzclub ausgebaut. Die 1950er bis Mitte der 1960er Jahre waren die Blütezeit der Clubs. Wurde irgendwo einer wegen Einsturzgefahr geschlossen, zog man weiter in den nächsten Keller oder Bunker. Man traf sich im Künstler-Jazzkeller „bohème“, in den Katakomben unter dem Lichtburg-Filmtheater in Barmen. Hier gab es täglich Live-Jazz, am Wochenende bis in den frühen Morgen. Auch die Elite des modernen Jazz trat im „bohème“ auf, darunter Hans Koller und George Maycock. Später wurde aus dem „bohème“ das Jazz-Lokal „Karogramm“ – und Ingrid Schuh war wieder dabei. Nächste Station war der „Jazzclub Adersstraße“, Wuppertaler Wiege des Free-Jazz, für den Namen wie Peter Kowald und Peter Brötzmann stehen. Das Programm gestaltete das Team Fränzel/Schuh. Sie entdeckten neue Jazzer, organisierten Auftritte und vermittelten den Musiker*innen Kontakte zu anderen Veranstaltern.
Ein Highlight war im April 1964 das Konzert von Charles Mingus in der Wuppertaler Stadthalle, ebenfalls von Fränzel/Schuh organisiert. Ingrid Schuh durfte den berühmten Jazzmusiker persönlich betreuen. Diese Begegnung wird ihr immer als besonderes Erlebnis in Erinnerung bleiben.
1964 gründeten Fränzel/Schuh das erste Aktionszentrum „impuls“ am Döppersberg, ab 1968 am Viehhof beheimatet. Das „impuls“ vereinte Musikkneipe, Veranstaltungsforum, Filmstudio, politischen Buchladen und Teestube unter einem Dach. Das Aktionszentrum war Treffpunkt für viele engagierte Gruppen und ein lebendiger Ort für die politischen Diskussionen der Zeit. Musikalisch stand der Jazz im Vordergrund, aber es gab auch psychedelischen Rock oder erste elektronische Sounds zu hören. Ende 1973 musste das „impuls“ wegen Geldmangels schließen. Für Ingrid Schuh waren die Zeit der Jazzkeller und vor allem die 9 Jahre Arbeit im und für das „impuls“ die wichtigsten Jahre.

Persönlicher Werdegang
Ingrid Schuh wurde am 21.02.1942 in der Wuppertaler Nordstadt geboren. Ein Jahr später kam ihre Schwester Rosi zur Welt, zu der sie ein inniges Verhältnis hatte. 1943 wurde die Familie ausgebombt und zog in die Tiergartenstraße. Hier am Zoo verbrachte Ingrid ihre Kindheit und Jugend, in einem sehr liebevollen und friedliebenden Elternhaus. Der Vater war Arbeiter, die Mutter Straßenbahnschaffnerin. Nach der Schulzeit begann sie eine kaufmännische Lehre beim Radio-und Schallplattengeschäft Gösser. Sie wäre gerne Fotografin geworden, fand aber als junge Frau in den 1950ern keine Lehrstelle. Nach der Ausbildung arbeitete sie in verschiedenen Büros, z.B. in einer Werbeagentur und in einem Architekturbüro in Düsseldorf. 1967 heiratete sie ihren Mann, Jürgen Schuh, einen in Wuppertal bekannten Friedensaktivisten. 1976 wurde die gemeinsame Tochter geboren und Ingrid Schuh ging in Familienzeit.
Der VHS-Jazzkurs
Ende der 70er Jahre stellte Ingrid Schuh fest, dass viele Jazz-Clubs nicht mehr existierten und sie suchte nach Alternativen, um Livemusik zu hören und um sich mit anderen Musikfreund:innen treffen zu können. Es entstand die Idee eines Volkshochschul-Jazzkurses. Am 15.10.1979 startete sie zusammen mit Rainer Widmann – der zeitgleich dieselbe Idee hatte – den VHS-Jazzkurs, der bis 2005 durchgängig stattfand. Nach kurzer Zusammenarbeit führte Ingrid Schuh den Kurs alleine. Das Netzwerk, das sie inzwischen aufgebaut hatte und die vielen freundschaftlichen Kontakte zu Musiker*innen und Künstler*innen bewährten sich und trugen zum Erfolg ihres Kurses bei. So gelang es ihr, längst selbst Expertin für Jazz und seine Geschichte, den Kurs mit immer neuen Themen und Musiker*innen lebendig zu halten.
Rund 200 Konzerte mit allen Größen, die zwischen Köln und dem Ruhrgebiet gastierten, hörten die Teilnehmer des Kurses gemeinsam. Sie besuchten u.a. die Jazz-Festivals in Leverkusen, Moers und Viersen, immer unter Ingrid Schuhs sachkundiger Begleitung.
Über 120 Gäste traten als Referent*innen und Solist*innen im Kurs auf. Darunter Peter Brötzmann, Bernd Köppen, Peter Kowald, Gerd Dudek, Hans Reichel, Helen Sachs, Wolfgang Sauer, Ilse Storb – um nur einige zu nennen.
Zusätzlich zum Jazzkurs leitete sie den „Politischen Treffpunkt am Vormittag“, der von 1992 bis 2014 in der VHS stattfand. Erst einen, dann auf Grund der großen Nachfrage einen zweiten Kurs. Alles, was in Wuppertal Rang und Namen hatte – von Johannes Rau über Pina Bausch bis Tony Cragg – gab sich bei Ingrid Schuhs Treffpunkt die Ehre. Nach 35 Jahren bei der VHS und nach 22 Jahren „Politischer Treffpunkt am Vormittag“ beendete Ingrid Schuh 2014 ihre Tätigkeit bei der Bergischen VHS. Doch zurück zum Jazz.
Ziel des Jazz-Kurses war – über ein Angebot der Volkshochschule – Jazz einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, die verschiedenen Spielarten des Jazz zu zeigen und den Kontakt mit den Musiker*innen zu ermöglichen. Dies ist Ingrid Schuh in über 25 Jahren mit dem VHS-Jazzkurs gelungen, einem in Deutschland in dieser Form und Kontinuität wohl einmaligen Projekt. Auf Grund dieser Einmaligkeit sollen die schriftlichen Kursunterlagen beim Jazzarchiv in Darmstadt archiviert werden. Das Kurs-Programm hatte die Überschrift „Jazz und mehr“ und den Untertitel „Der Jazz und seine Spuren“. Ingrid Schuh hat Spuren in Wuppertal hinterlassen. Von ihrem ersten Kontakt mit der Jazz-Musik im Bunker des Nachbarschaftsheims 1959 bis heute. Und so ist sie auch eine Zeitzeugin über die Geschichte des Jazz in Wuppertal, die viel zu erzählen hat und mitgemischt hat in der Männerdomäne – die der Jazz immer noch ist.
Text: Anette Willms


Verortung:
Verortet wird Ingrid Schuh am damaligen Ort des ‚Impuls‘ (von 06.1968 bis 04.1973) in der Viehhofstr. 154
Quellen:
(Hg.) Fränzel, E. Dieter, Widmann, Rainer / JAZZ AGe Wuppertal; sounds like whoopataal, Wuppertal in der Welt des Jazz, 2. überarbeitete Auflage 2008, Essen: Klartext Verlag
Volkshochschule Wuppertal (Hg): 20 Jahre VHS-Jazzkurs; Das große Ganze im ganz Kleinen
Persönliches Interview am 26.Februar 2024