Foto: © Bild Privatbesitz Anne Linsel, mit freundlicher Genehmigung
Anne Linsel
Anne Linsel ist am 01.08.1942 in Wuppertal Barmen, Robert-Koch-Platz 1, geboren. Sie ist Kultur-Journalistin, Dokumentar-Filmemacherin, Autorin, Publizistin und hat sich als herausragende Kulturbotschafterin auch um die Stadt Wuppertal verdient gemacht.
Sie war mit Reinhard Linsel (gestorben 2010) verheiratet, hat zwei Kinder und zwei Enkelkinder.
Der Vater, Ernst Viefhaus, hatte eine Textilfabrik, die Mutter, Elise Viefhaus, war ausgebildete Kindergärtnerin. Sie hat drei Brüder (*1926, *1928, *1932), die deutlich älter sind als sie.
Die Nacht vom 15. auf den 16. April 1945 verbrachte das Wuppertaler Ehepaar Viefhaus mit seinen vier Kindern im Keller ihres Hauses in Barmen – es war Fliegeralarm. Gegen morgen ging der Vater nach oben, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist und um die Schlagläden zu öffnen. Die Familie hörte plötzlich mehrere Einschüsse, die das Haus getroffen hatten. Der Vater lag im Flur vor der Kellertüre, ein Granatsplitter hatte seinen Kopf getroffen – er muss sofort tot gewesen sein. Es war der letzte Artilleriebeschuss in der Stadt. Die Geschosse kamen von der nahen Waldhöhe und hatten den Vater direkt getroffen. Am gleichen Tag marschierten die Amerikaner in Wuppertal ein und der Kampf um Wuppertal war beendet. Anne Linsel verlor im Alter von zwei Jahren ihren Vater – ein Lebensthema.
Der älteste Bruder übernahm nach dem Tod des Vaters die Fabrik und ernährte so in seinen jungen Jahren die Familie. Er absolvierte die Handelsschule und führte die Fabrik bis Anfang der 1950iger Jahre. Dann begann in Wuppertal das „Fabriksterben“ und auch die elterliche Fabrik ging in Konkurs.
Der älteste und der jüngste Bruder arbeiteten als Dipl. Ing. in kaufmännischen Berufen, der mittlere Bruder war Historiker, Professor für Neuere Geschichte. Alle drei Brüder sind inzwischen verstorben. Anne Linsel blieb in Wuppertal und kümmerte sich um ihre Mutter. Wegzugehen, und die Mutter alleine zurückzulassen, kam für sie nicht in Frage.
Anne Linsel studierte Kunst und Kunstgeschichte (1962-1965) an der Werkkunstschule in Wuppertal, die später in die Bergische Universität Wuppertal integriert wurde. Schon während ihres Studiums schrieb sie mit viel Freude kleine Artikel für die Westdeutsche Rundschau und bekam die Chance für ein Volontariat. Anne Linsel arbeitet seit 1967 als freie Kulturjournalistin – bis heute. Zunächst für Zeitungen, dann kam ab 1977 der Rundfunk dazu, ab 1978 das Fernsehen.
Als Kulturjournalistin schrieb Anne Linsel Kunst-, Theater-, Literaturkritik, Portraits und kulturpolitische Aufsätze für „Die Zeit“, die „Süddeutsche Zeitung“, arbeitete für Rundfunk (WDR, NDR, Deutschlandfunk) und Fernsehen (WDR, ZDF, ARTE).
Fünf Jahre war sie Moderatorin des ZDF-Kulturmagazins „Aspekte“ (1984-1988). Danach moderierte sie die ZDF-“Sonntagsgespräche“ und war Gastgeberin in der ZDF-Reihe „Zeugen des Jahrhunderts“. Sie konzipierte und moderierte Themenabende bei ARTE u.a. zu Joseph Beuys, Max Ernst, Pina Bausch.
Seit 1980 drehte sie Dokumentarfilme – vorwiegend Künstlerportraits (WDR, ZDF, ARTE).
Sie begleitete Pina Bausch journalistisch von Beginn ihrer Tätigkeit als Choreografin in Wuppertal und drehte mehrere Fernsehfilme über Pina Bausch und das Tanztheater Wuppertal. Der Kinofilm „Tanzträume“ – Jugendliche tanzen „Kontakthof“ von Pina Bausch, wurde mehrfach international ausgezeichnet.
2007 wurde sie in Wuppertal mit dem Enno-und-Christa-Springmannpreis ausgezeichnet. Im Jahr 2012 erhielt sie den Von der Heydt-Kulturpreis der Stadt Wuppertal.
Sie ist Mitglied im Internationalen Kunstkritikerverband AICA und PEN Deutschland.
Als Kritikerin von Kunst, Theater, Literatur war ihr immer wichtig, sachlich zu informieren und gleichzeitig, wenn nötig, zu kritisieren: Aufklärung im besten Sinn. Das eigentliche Ziel war für die Kunst einzutreten und dabei möglichst viele Leser:innen und Zuschauer:innen für Kunst und Kultur zu begeistern. Mit der Erkenntnis, dass Kunst und Kultur nicht Luxus, sondern Lebensmittel sind. Oder, wie Johannes Rau es gern sagte: „Kunst und Kultur sind die Hefe im Teig, nicht die Sahne auf dem Kuchen.“
Ihre Rolle als Gastgeberin bei den „Zeugen des Jahrhunderts“ empfand sie als große und wichtige Aufgabe. Es waren mehrheitlich jüdische Leben, die sie fragend darstellen konnte. Menschen, die im 20. Jahrhundert gelebt und gelitten hatten, u.a. Hilde Spiel, Schriftstellerin und Kulturkorrespondentin (FAZ), Ernst H. Gombrich, Kunsthistoriker, Maria Becker, Schauspielerin.
Der Beruf der Journalistin war und bleibt einer der schönsten, den sich Anne Linsel vorstellen kann. Für sie war dieser Beruf immer eine Schule des Lebens. Sie lernte wunderbare Menschen kennen, durfte sie portraitieren oder ihr Leben fragend – auch kritisch hinterfragend – darstellen.
Es waren Frauen, denen sie die wichtigsten Erkenntnisse zu verdanken hat: die Schriftstellerin Hilde Spiel, die israelische Schauspielerin Hanna Maron, die Bühnenbildnerin Hanna Jordan, die Tänzerin und Choreografin Pina Bausch.
Von 1990 bis 1997 war sie Vorsitzende der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft in Wuppertal. Zusammen mit Mitstreiter:innen gründete sie 1997 das Literaturhaus Wuppertal e.V. und war 25 Jahre ehrenamtliche Vorsitzende des Vereins. In dieser Zeit wurde die Literaturszene in Wuppertal, die nach ihrer Meinung – ein kümmerliches Dasein führte -, mit vielen unterschiedlichen Veranstaltungen aufgebaut und belebt. Heute gibt es in Wuppertal neben dem Literaturhaus mehrere Institutionen, die ein vielfältiges literarisches Angebot präsentieren.
Text von Anne Linsel und Claudia Müller
Auf der Homepage www.anne-linsel.de ist auch ihre Dankesrede zum Von der Heydt-Kulturpreis nachzulesen.