Foto: © Flora Klee-Palyi, ca. 1947,
mit frdl. Genehmigung Stadtarchiv Wuppertal, Signatur FB 1776
Flora Klee-Palyi
Wer im Stadtarchiv Wuppertal nach Flora Klee-Palyi recherchiert, den erwartet dort eine Schatzkiste.1
In ihr befinden sich – als ob sich alle Dimensionen des Lebens Flora Klee-Palyis hier final gesammelt hätten – alte Linolschnittplatten, kleine Kunstwerke auf Seidenpapier, deutsche und französische Bücher und viel Handgeschriebenes: Postkarten, auf denen sie Gäste zur Suppe einlädt; Anweisungen, in denen sie Farbwünsche für einen Buchdruck penibel erörtert; Briefe, in denen sie für die Gründung einer Künstlergruppe wirbt. Es findet sich dort aber auch eine umfangreiche ‚Wiedergutmachungsakte‘, die – bei fortschreitendem Lesen – zunehmend ein Drama offenbart.
Wer war diese Frau?
Flora Gisela Palyi, geboren am 13. Oktober 1893 in Budapest, wuchs in einer intellektuell geprägten Familie auf. Ihr Vater war Journalist und Schriftsteller, ein Bruder ihrer Mutter übersetzte Goethes ‚Faust‘ ins Ungarische, ein weiterer Onkel war Philosoph, sodass einem künstlerischen Werdegang wenig im Wege stand.
Flora Palyi erhielt ihre künstlerische Ausbildung in Lausanne, Genf und – neben Auslandsreisen, die ihre Studien vertieften – schließlich München, das zu dieser Zeit künstlerisch zu pulsieren beginnt. Schon als junge Frau zeigt sie sich von einer modernen und innovativen künstlerischen Seite.
Erste Illustrationen von ihr werden in Münchner Verlagen veröffentlicht.
1919 gestaltet Flora Palyi ein Cover des neuen Magazins ‚Der Orchideengarten‘, einer Zeitschrift phantastischer, okkulter und erotischer Literatur und Kunst, in der beispielsweise auch Erzählungen von Edgar Allan Poe veröffentlicht wurden – oder von Guillaume Apollinaire, der sie nachhaltig beeindrucken sollte.
Es müssen ungemein lebendige Jahre gewesen sein, die Flora Palyi in der Isarmetropole erlebt, die nach dem Ersten Weltkrieg wieder aufblüht – mit reichen künstlerischen Eindrücken, zahlreichen Kontakten zu Künstler*innen und abwechslungsreicher Arbeit:
Sie beteiligt sich mit vielen Zeichnungen an der bekannten Zeitschrift ‚Jugend‘, in der sie auch – selbst fließend Ungarisch, Französisch und Englisch sprechend – ein ungarisches komisches Bauernepos ins Deutsche übersetzt. Sie organisiert mit der Künstlergruppe ‚Große Glocke‘ ein großes Faschings-Fest (auf dem auch Karl Valentin und Lisl Karlstadt auftreten) und gestaltet einen von der Presse gelobten Wandkalender.
1921 illustriert sie eine deutschsprachige Ausgabe des ‚Physiologus‘2, eine vermutlich im 2. Jahrhundert entstandene frühchristliche Naturlehre. Sie wird sich in dieser Zeit zunehmend auch mit Typografie beschäftigt haben.
Ebenfalls in diesem Jahr ist sie in einer Kollektivausstellung in der Münchner Galerie Thannhauser vertreten3.
Flora Palyi lernt in München auch ihren zukünftigen Ehemann kennen. Sie heiratet dort am 2. Juni 1921 den Mediziner und späteren Professor Philipp Klee (1884-1978). Er erhält 1927 eine Anstellung als Chefarzt der Inneren Abteilung der Städtischen Krankenhausanstalten am Arrenberg in Elberfeld und Flora Klee-Palyi folgt ihm ins heutige Wuppertal.
Sie setzt ihre künstlerische Tätigkeit an der Kunstgewerbeschule Elberfeld fort, bald folgen die ersten hiesigen Ausstellungen: 1930 zeigt sie im Kupferstichkabinett des Elberfelder Museums Illustrationen, u.a. zu Werken von Jean Paul, Adalbert Stifter und – zu Alain-René Lesage. Ihre Liebe zur französischen Literatur und vor allem der Lyrik sollte in der Zukunft vertieft werden.
Die Wuppertaler Presse würdigt ihre Illustrationen, auch ihre Freude am „Komischen, Schrulligen, Absonderlichen“5, die sie Zeit ihres Lebens beibehalten würde.
Wegen der jüdischen Abstammung Flora Klee-Palyis (sie war nie Mitglied der Synagoge) sieht sich das Ehepaar bald antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt, die zunehmend schlimmer werden.
Eine künstlerische oder literarische Tätigkeit Floras wird unmöglich gemacht.
Alle vermutlich durch Philipp Klee privilegierten Schutzmaßnahmen werden mit dem Fortschreiten des Krieges dennoch vergeblich6. Am 17. Oktober 1944 wird Flora Klee-Palyi verhaftet und zunächst in das Arbeitserziehungslager Diemitz bei Halle (Saale), dann in das Gemeinschaftslager in der Fabrik „Habämpfa“ (Hallesche Bäckereimaschinen- und Ofenfabrik) in Halle verschleppt.
Schließlich wird sie am 18. Februar 1945 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Zu schwerer Arbeit unter unmenschlichen Bedingungen gezwungen, überlebt sie und wird am 8. Mai 1945 durch die Rote Armee befreit. Nach vielen Tagesmärschen, körperlich ruiniert und psychisch traumatisiert, kommt sie am 6. Juni 1945 in das zerstörte Wuppertal zurück.
Trotz nötiger Kuraufenthalte, die ihrem Gesundheitszustand nur bedingt helfen, nimmt Flora Klee-Palyi ihre künstlerische und literarische Tätigkeit wieder auf.
Bereits in der ersten Kunstausstellung nach dem Krieg (in der Kunstausstellung Leithäuser im Turmhof) im Sommer 45 sind erste Werke von ihr zu sehen.
© mit frdl. Genehmigung, Stadt Wuppertal
Parallel zu ihren Aktivitäten beantragt sie Entschädigungsgeld für ihre Verfolgung.7 Die sogenannte „Wiedergutmachungsakte“ zeigt (wie bei vielen anderen Opfern des Nationalsozialismus ebenfalls), wie demütigend dieser bürokratische Kampf um Gerechtigkeit sich gestalten konnte:
Klee-Palyi soll ihren Ausweis vorlegen, der ihr aber von der Gestapo abgenommen worden war; kann eine Mitgliedschaft der Elberfelder Synagoge nicht nachweisen, da sie dort nie zugehörig war; schließlich benennt sie drei ehemalige Mithäftlinge in Theresienstadt als Zeuginnen. Frau Bernhard Witte bezeugt so eidesstattlich, dass sie zusammen inhaftiert waren. Dennoch wird ihr Antrag abgelehnt, weil (trotz ärztlicher Untersuchung und gegenteiligen Bescheides) angeblich keine körperlichen Schädigungen vorlägen. Der lange bürokratische Kampf, den Flora Klee-Palyi führt, wird erst 1959 vollständig abgeschlossen sein.
Flora Klee-Palyi gelingt es dennoch, inmitten eines zerstörten Wuppertals die mit ihrem Ehemann bezogene Villa in der Boltenbergstr. 10 zum Mittelpunkt kulturellen Lebens zu erwecken. Sie lädt Künstler*innen zu Treffen ein – „bei mir (geheizt)“ – und zur Teilnahme an der Gründung einer Künstlergruppe.
Der Zeitgenosse Kurt Niederau8 erinnert sich nicht nur an „Kaffee („echten Bohnenkaffee!”), sondern an ungezählte Gäste, die in der Villa ein- und ausgehen, darunter Claire und Ivan Goll, der Priester Hans Urs von Balthasar, Schriftsteller und Dichter wie Ernst Meister und Rudolf Hagelstange. Künstler*innen, Verleger*innen, Journalist*innen, Graphiker*innen, Galeristen, Mäzene treffen sich bei Flora Klee-Palyi. Auch meist dabei: Roma und Sinti, ehemalige Mithäftlinge, die sie Zeit ihres Lebens nicht vergisst. Auch mit Paul Celan hat sie engen Kontakt.
In diesen Nachkriegsjahren fokussiert sich Flora Klee-Palyi zunehmend auf ihre so eigene spezielle Thematik: Den Austausch französischer und deutscher Lyrik und Literatur – kombiniert mit Illustration und moderner Typographie9. Sie schafft Gesamtkunstwerke, in denen Text und Bild nicht nebeneinander, sondern zusammenstehen.
Flora Klee-Palyi übersetzt nicht nur selbst aus dem Französischen, sondern auch in das Französische: Kleists Abhandlung „über das Marionettentheater“, übersetzt von ihr und Fernand Marc, erscheint 1947 in Paris, wo sie des Öfteren hinreist.
Ebenso wie Flora Klee-Palyi französische Literatur in Deutschland fördert, versucht sie, auch in Frankreich, deutsche Literatur bekannter zu machen.
1958 erscheint von ihr in Paris die „Anthologie de la poésie féminie allemande“, die sich ausschließlich der Lyrik von Frauen widmete: Von Frauen wie Annette von Droste-Hülshoff bis zu Ingeborg Bachmann und – sehr wichtig für Flora Klee-Palyi, da auch sie antisemitisch verfolgt – Dichterinnen wie Nelly Sachs und Else Lasker-Schüler. Ebenso junge und unbekanntere Lyrikerinnen erhalten darin Platz.
Weiterhin fertigt Klee-Palyi Illustrationen zu französischer, deutscher aber auch englischsprachiger Literatur, Linolschnitte, gelegentlich Zeichnungen und Radierungen – und verbindet Text und Bild zu einer Einheit.
Sie nimmt 1951 teil an einer Gemeinschaftsausstellung im Wuppertaler Kunst- und Museumsverein, ist in ständiger Arbeit an Übersetzungen, Illustrationen und Buchprojekten.
Foto: Gruppenfoto auf dem Balkon der Galerie während der Ausstellung François Arnal, 1.9.-20.9.1951, Galerie Parnass, Alte Freiheit 16/18, Wuppertal. v.l.n.r.: François Arnal, Jean-Pierre Wilhelm, Flora Klee-Palyi. Foto: Rolf Jährling, mit frdl. Genehmigung ZADIK | Zentralarchiv für deutsche und internationale Kunstmarktforschung, Universität zu Köln Bestand A5, VIII, 6
Das Foto links zeigt Flora Klee-Palyi in der Wuppertaler Galerie Parnass: Auch hier zeigt sich, wie sie sich künstlerisch immer auf dem neuesten Stand bewegt. Die Galerie in Elberfeld war in diesen frühen Jahren schon sehr fortschrittlich und wurde dann Jahre später Ort der ersten Happening- und Fluxus-Veranstaltungen auf deutschem Boden. Sie schrieb mit ihren spektakulären Medienkunst-Ereignissen und Ausstellungen internationale Kunstgeschichte.
Ihre Ansprüche in allen Bereichen sind hoch, aber es gelingt ihr, „eine Avantgarde deutscher Übersetzer“ auf höchstem Niveau zu mobilisieren10, darunter auch bekannte Namen wie Hans Arp oder Hans Georg Brenner aus der Gruppe 47, auch Paul Celan stellt vier Übersetzungen von Gedichten zur Verfügung. Flora Klee-Palyis eigene Übersetzungen erscheinen mitunter unter dem Pseudonym Marie Philippe.
Zwischen 1950 und 1953 entsteht eine zweisprachige Anthologie französischer Lyrik in zwei Bänden „Anthologie der französischen Dichtung von Nerval bis zur Gegenwart. Anthologie de la poésie française de Nerval à nos jours.“
Ihre Ansprüche bei den Übersetzungen sind extrem hoch – Einblick gibt eine Postkarte an den Maler Hans Ochs:
„Die Übersetzungen sind gut, aber nicht sehr gut, denn manchmal schwerfällig, manchmal nicht ganz genau und die Dichtungen nicht immer ‚dichterisch‘.“11
Viele Bücher erscheinen, meist in kleinerer Auflage.
1956 illustriert sie in einem Buch das Gedicht „Die drei Hasen“ von Christian Morgenstern. Sie illustriert Werke von Emil Barth, Novalis und René Char.
1959 erscheint das „Bestiarium“12: Fünfundzwanzig Gedichte nach Guillaume Apollinaire’s „Le Bestiaire ou Cortège d’Orphée“ von Karl Krolow, dessen Illustration und Typografie Klee-Palyi übernimmt.
Trotz ihrer vielen Kontakte zu Künstler*innen bewegt sich Flora Klee-Palyi nie extrovertiert in der Wuppertaler Kulturszene, sondern arbeitet eher zurückgezogen.
Erst mit der Verleihung des Eduard von der Heydt-Preis 1956 rückt sie wieder etwas mehr in die Öffentlichkeit.
Sie wird zu Recht als „Mittlerin zwischen Dichtung und Bildnerei“14 gewürdigt.
Ihre Werke „beziehen ihren hohen Reiz“, so hatte sie die Bergische Tageszeitung bereits einige Jahre zuvor gerühmt, „aus der geistigen Heimat Europa, die sie früher erkannt hat als die Diplomaten“.15
Am 14. April 1961 stirbt sie an den Folgen einer langen Tumorerkrankung.
Sie und ihr Ehemann wurden auf dem Alten Evangelischen Friedhof an der Kirchhofstraße in Wuppertal-Sonnborn beerdigt16.
Text: Uta Kroder | Juli 2023
Verortung: Boltenbergstr. 10, Wuppertal
Quellen:
1 Diese Archivunterlagen und ein ausführliches erstes Werkverzeichnis wurden in großer Arbeit vom ehemaligen Leiter des Stadtarchivs Wuppertal Dr. Uwe Eckardt zusammengetragen. Hier und im Folgenden, mit vielem Dank für seine Unterstützung:
Eckardt, Uwe: „Zum 125. Geburtstag der Künstlerin und Übersetzerin Flora Klee-Palyi (1893-1961). Biographische und bibliographische Anmerkungen“, in: Geschichte im Wuppertal. Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins, Abteilung Wuppertal e.V., des Historischen Zentrums, des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek Wuppertal. 27. Jahrgang 2018, S. 84-100.
Ein Gesamt-Werkverzeichnis aller Werke Flora Klee-Palyis steht nach wie vor aus.
2 Im Titelbild von Flora Palyi zeigen sich Ähnlichkeiten zum Titelblatt des Orchideengarten – beide Zeichnungen sind recht fröhlicher Natur.
3 Eckardt, Uwe. s.o., S. 84.
4 Vgl. auch https://municharttogo.zikg.eu/items/show/33 (Stand: 04.08.2023)
5 Bergisch-Märkische Zeitung v. 22.10.30 und Freie Presse v. 14.10.30
6 Professor Philipp Klee erhält noch im Januar 1945 eine ‚Unbedenklichkeitserklärung‘, die ihm einen „einwandfreien Charakter“ bescheinigt, und wird deshalb nicht entlassen. Brief Stadtarchiv Wuppertal, 11. Januar 1945, Der Oberbürgermeister, Amt 000/S, Gebauer an den Herrn Regierungspräsidenten Düsseldorf, Betr.: Jüdische Mischlinge und Jüdisch Versippte im öffentlichen Dienst.
7 „Wiedergutmachungsakte“ / Amt für Wiedergutmachung, Stadtarchiv Wuppertal Nr. 11574
8 Niederau, Kurt: Späte Erinnerungen an eine außergewöhnliche Frau. Zum 100. Geburtstag von Flora Klee-Palyi, in: Geschichte im Wuppertal, 2. Jg. 1993, hrsg. V. Bergischen Geschichtsverein – Abteilung Wuppertal e.V., Historisches Zentrum, Stadtarchiv, Stadtbibliothek, S. 70-73.
9 Flora Klee-Palyi übernahm die Typografie häufig selbst, aber auch Horst Heiderhoff war oft zuständig für die perfekte Typografie in den Büchern mit Flora Klee-Palyi.
10 Karl Krolow: Mittlerin zwischen Dichtung und Bildnerei. Festansprache, Kassel 1958, S. 11-12, zitiert n. Eckardt, Uwe, s.o., S. 99.
11 Postkartenkonvolut im Stadtarchiv Wuppertal, STAW NSD 204.
12 Bestiarium. Fünfundzwanzig Gedichte nach Guillaume Apollinaire’s „Le Bestiaire ou Cortège d’Orphée“ von Karl Krolow, Original-Linolschnitte und Typographie von Flora Klee-Palyi, 1. Aufl. 1959, Walltor-Verlag Gießen. Das Buch erschien in einer kürzeren Fassung bereits 1957.
13 https://www.wuppertal.de/kultur-bildung/kulturpreis/klee-palyi.php (Stand: 04.08.2023)
14 Karl Krolow: Mittlerin zwischen Dichtung und Bildnerei. Festansprache, Kassel 1958.
15 Bergische Tageszeitung, 5.9.1951
16 Mittlerweile wurde das Grab aufgelöst.