Foto, © Mit freundlicher Genehmigung vom VVN-BDA Wuppertal, Archiv1
Gertrud Vogelsang
Emilie Margarete Gertrud Vogelsang war eine kommunistische Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus und gehörte der KPD an. Sie wurde in Wuppertal geboren und ist hier Ende August 1946 gestorben.
Ihr Leben vor ihrer politischen Laufbahn
Emilie Margarete Gertrud Vogelsang, *05.04.1911 in Elberfeld (später Wuppertal) wurde in der Schleswiger Str. 132 geboren. Sie wuchs mit ihren Eltern, Johann Peter und Johanna Alwine Vogelsang, wohlbehütet in bürgerlichen Verhältnissen auf. Sie besuchte die Volksschule und ein Lyzeum in Elberfeld. Nach einer einjährigen Tätigkeit im Elternhaus – die Mutter verstarb 1927 und der Vater heiratete erneut3 – absolvierte sie dann noch die private Handelsschule und erlernte den Beruf der Kontoristin. 1928 bekam sie ihre erste Arbeitsstelle in der Firma „Metalldraht“ in Elberfeld. Angeregt durch ihren Geschichtsunterricht am Lyzeum setzte sie sich schon früh mit sozialen und politischen Problemen in den Wupperstädten auseinander. Die Antworten ihrer Lehrer zu den Auseinandersetzungen im Wuppertal genügten ihr nicht. So begann sie als Schülerin ein eigenständiges Studium historisch-politischer Literatur und suchte den Kontakt zur Elberfelder Arbeiterbewegung.
Ihre Eltern lehnten die zunehmenden politischen Interessen ihrer Tochter und deren Richtung entschieden ab. Behutsam und selbstbewusst setzte sich Gertrud Vogelsang von ihrem Elternhaus ab, ohne jedoch einen Bruch zu vollziehen.4 Da sie sich mit ihrer Stiefmutter nicht verstanden hat, zog sie zuerst zu einer Tante nach Barmen, bevor sie ein möbliertes Zimmer bezog. Gertrud Vogelsang war 1,60 m groß und hatte ein verkürztes Bein.5
Ihre politische Laufbahn
Gertrud Vogelsang, von Vertrauten Trude(l) genannt, schloss sich zunächst einer proletarischen Wandergruppe an. Die Sonntage wurden miteinander verbracht, Freundschaften geschlossen und politische Arbeit geleistet. 1930 wurde sie Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes (KJVD), bevor sie, im Zuge der bedrohlicher werdenden Gefahren durch die Nationalsozialisten, 1932 in die KPD eintrat. Ein Jahr zuvor hatte sie bereits ihre Arbeitsstelle verloren. Gertrud Vogelsang arbeitete mit anderen, aus der Schutzhaft entlassenen Parteigenossen, entwickelte und schrieb Flugblätter, an deren Verteilung sie auch beteiligt war. Sie warben darin im Namen der RGO-Wuppertal (Revolutionäre Gewerkschaftsopposition) für den Aufbau von „roten Klassengewerkschaften“.6
Gleichzeitig war sie für das Einsammeln der Mitgliedsbeiträge zuständig. Zum damaligen Zeitpunkt war Gertrud Vogelsang eine noch wenig bekannte Widerstandskämpferin.
Im Zuge einer erneuten Verhaftungswelle der Gestapo Anfang 1934, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933, wurde auch Gertrud Vogelsang, wie viele andere Kommunisten, von der Gestapo verhaftet. Im April 1934 wurde sie vor Gericht gestellt und vom 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts in Hamm wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu einem Jahr und 9 Monaten Gefängnis verurteilt. In der Untersuchungshaft besuchte sie ihr Vater und Gertrud Vogelsang gab ihm einen lyrischen Text in Form einer Traumschilderung mit. Gertrud beschrieb ihren Angehörigen einen Traum, den sie angeblich in der Haft gehabt habe. „Sie habe eine große Wanderung durch den Wald gemacht, und immer, wenn sie einen neuen Weg eingeschlagen habe, sei ihr ein großer Kater über den Weg gesprungen, der am Ohr eine Narbe hatte. Sie habe Angst gehabt und sei dann schweißgebadet aufgewacht.“7 Die Angehörigen und die Gefängnisleitung konnten mit dem Text nichts anfangen. Cläre Quast (ebenfalls kommunistische Widerstandskämpferin) und die Parteigenossen in Wuppertal verstanden die Zeilen richtig und wussten, dass die Verhafteten niemanden verraten hatten und ein Mann (Kater) in die illegale KPD eingeschleust werden sollte.8
Gertrud Vogelsang nahm vor Gericht alle Schuld auf sich und belastete kein weiteres Widerstandsmitglied. Sie gab ihre eigene Schreibmaschine ab, verriet aber nicht, wo die Flugblätter, Broschüren und Materialien tatsächlich entstanden waren.
Ende Juli 1935 wurde sie aus dem Gefängnis Anrath entlassen und beteiligte sich erneut am Widerstand gegen die Nationalsozialisten in Wuppertal, arbeitete in der illegalen KPD mit und „leistete eine hervorragende Arbeit“.9 Sie blieb weiterhin unter Beobachtung der Gestapo, verteilte Gelder der „Roten Hilfe“ an bedürftige Familien in Wuppertal. 1936 – bis zu ihrer Flucht nach Belgien – arbeitete sie drei Monate bei der Firma Finkensieper in Wuppertal-Barmen. Im Juni 1936 wurde Gertrud Vogelsang von einer Bekannten über die Verhaftung eines engen Mitstreiters durch die Gestapo gewarnt. Sie versteckte sich bei einer unterstützenden Familie, verließ Wuppertal mit einem gefälschten Pass und emigrierte, ohne noch einmal in ihre Wohnung zu gehen.
Foto: © Landesarchiv NRW
Leben im Widerstand und Exil
G. Vogelsang reiste nach Belgien aus und koordinierte dort den kommunistischen Widerstand gegen das Naziregime. Sie hatte mehrere Tarnnamen wie z.B. „Juppi, Jopi, Suppi, Huppi“ und wurde von der Roten Hilfe Belgien als Emigrantin anerkannt.10 Die Gestapo fahndete noch im Juni 1936 nach ihr und meldete sie „als flüchtig“. Mit ihrem ungebrochenen Widerstandswillen informierte sie die Weltfrauenbewegung in Brüssel und machte auf den faschistischen Terror gegen Frauen im Deutschen Reich aufmerksam.
Auszug aus: „Kongreß Mondial de Femmes“ (Pfingstwoche 1938 in Brüssel)
Im Namen der emigrierten Frauen aus Deutschland, die von Hitler und Konsorten auf das grausamste gequält, gefoltert und verfolgt werden, rufe ich diesem Kongreß aller freiheitsliebenden Frauen Belgiens zu, uns gegen die Kulturschmach der ganzen Welt, wie sie Hitler repräsentiert, zu protestieren. Hitler ist es, welcher Frauen von dem Henker mit dem Handbeil enthaupten ließ, Hitler ist es, welcher unserer Genossin, die große Pazifistin Liselotte Herrmann11, auf das Schafott schicken will, ich bitte den Kongreß, eine Resolution, die ich dem Büro vorlegte und wo gegen das Todesurteil der schärfste Protest eingelegt wird, dieselbe einstimmig anzunehmen. … Ich empfehle dem Kongreß, daß er einstimmig die Patenschaft für 10 Familien in Deutschland übernimmt, für 10 Familien, welche dadurch dem langsamen Hungertode entrissen werden und der Friedensbewegung erhalten bleiben. …12
Sie kümmerte sich in Belgien besonders um emigrierte Frauen, ermutigte Emigrantengruppen, arbeitete für die KPD, schrieb Artikel und Gedichte. Sie lebte teilweise in Belgien, in den Niederlanden, wieder in Belgien, teils auf dem Lande, teils in Brüssel. Die Gestapo verfolgte sie weiterhin und beantragte wegen ihrer „fortgesetzten kommunistischen und staatsfeindlichen Tätigkeit im Ausland“ im Dezember 1938 die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit. Schriftlich erfolgte dies zum 12.03.1939. Am 14.05.1940 wurden Gertrud Vogelsang und ihr Partner, Wilhelm Knipp, beim Einmarsch der deutschen Truppen in Belgien von der belgischen Polizei verhaftet und nach Frankreich abgeschoben. Gertrud Vogelsang hatte Wilhelm Knipp, einen kommunistischen Arbeiter aus Köln, im Frühjahr 1938 im belgischen Exil kennengelernt.
Sie kam in das berüchtigte Lager Gurs in Südfrankreich. In einem Viehwaggon wurde sie 9 Tage von Brüssel nach Gurs transportiert. Die Versorgung der Häftlinge in Gurs war so katastrophal, dass viele, insbesondere jüdische Menschen, dort starben. Aufgrund der lebensbedrohlichen Zustände im Lager entschloss sich G. Vogelsang, „freiwillig“ nach Deutschland zurückzukehren.13 In einem körperlich sehr angeschlagenen Zustand (u.a. war sie Asthmatikerin) wurde Gertrud Vogelsang im Dezember 1940 im Elsass an die Gestapo ausgeliefert und in Düsseldorf erneut wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt. Die von der Gestapo als „sehr intelligent geschilderte, Gedichte und Zeitungsartikel schreibende“ Vogelsang wird zu einer 5-jährigen Zuchthausstrafe verurteilt.14 Eine Anklageschrift mit dem Inhalt „Vorbereitung zum Hochverrat/Hochverrat“ bedeutete oftmals die Todesstrafe.
Die Vermutung ist, dass Gertrud Vogelsang sich in den Verhören der Gestapo geschickt verhalten hat, einen Teil ihrer Widerstandstätigkeit in Belgien verwischen konnte und deshalb eine „vermeintlich niedrige“ Haftstrafe erhalten hat.15
Gertrud Vogelsang wurde in das Frauen-Zuchthaus Ziegenhain gebracht (Ortsteil von Schwalmstadt, heute Hessen; Zuchthaus für Frauen, die aufgrund ihrer politischen Tätigkeit als Kommunistinnen verurteilt worden waren).
Bericht dazu von Lore Wolf16:
Fast fünf Jahre verbrachte ich unter der Naziherrschaft in Einzelhaft, das ist nicht durchzustehen, wenn von außen nicht Hilfe geleistet wird. Im ersten Jahr kann diese Einsamkeit tödlich wirken … ich habe es wegen meiner politischen Überzeugung und mit eiserner Selbstdisziplin durchgehalten.17 … Dreieinhalb Jahre hinter Gittern! In Einzelhaft! In übelriechender, dumpfer Zelle! Dreieinhalb Jahre Sehnsucht nach ein wenig Sonne, nach einem Atemzug frischer Luft…18 Hier in Ziegenhain geht eine Halskrankheit um, eine Drüsentuberkulose. Diese Krankheit entsteht wegen dem ständigen Hunger und Vitaminmangel, unter denen wir leiden. Die Sauerstoffarmut in den stickigen Zellen verschlimmert diese Krankheit noch.19 Der Hunger ist ein quälendes, reißendes Tier. Manche Nacht liege ich wach auf meiner Pritsche und kann nicht einschlafen, weil die Magenschmerzen unerträglich sind, als ob da ständig einer an den Magenwänden reißt, bohrt und zerrt. Alles ist wund in mir. … Dabei kenne ich nur allzugut den Hunger. Die Jahre in der Emigration haben mich gelehrt, mit sehr wenig auszukommen.20
Zum sich abzeichnenden Kriegsende wurden die inhaftierten Frauen am 28./29.03.1945 auf einen Todesmarsch („Der Todesmarsch hat begonnen!“21) nach Bergen-Belsen geschickt. Nur knapp konnten die Frauen dem Konzentrationslager entgehen und die Verlegung ins Gefängnis Fuhlsbüttel erfolgte. Dort erreichte sie das Kriegsende und der Zusammenbruch des Nazi-Regimes. Aus dem Konzentrationslager und Gefängnis Fuhlsbüttel schrieb Gertrud Vogelsang folgendes Gedicht, in dem sie ihrer Hoffnung auf baldige Befreiung Ausdruck verlieh:
Die Freiheit naht, sei still mein Herz
und fasse dich im Glück,
noch trag besonnen Druck und Schmerz
noch einen Augenblick!
Der Bruder steht vor unseren Toren,
und seiner Marschkolonnen Schritt
dröhnt voller Wucht zu unseren Ohren,
er naht und bringt Erlösung mit!22
Am 02.05.1945 befreiten die Alliierten das Gefängnis Fuhlsbüttel, am 25.05.1945 konnten endlich alle Inhaftierten das Gefängnis verlassen.
Ihr Leben nach der Befreiung und dem Ende des II. Weltkriegs
Gertrud Vogelsang kehrte nach dem Krieg in ihre Heimatstadt Wuppertal zurück. Sie arbeitete als Korrespondentin für die kommunistische Zeitung „Freiheit“. Auch ihr Partner, Wilhelm Knipp, hatte den Krieg und die Lager überlebt. Beide trafen sich in Wuppertal wieder und heirateten am 30.03.194623. Ab da hieß sie Gertrud Knipp-Vogelsang. Sie lebten nach ihrer Rückkehr in der Dewerthstr. 79 in Wuppertal.
Das Paar war von den Strapazen der Verfolgung, des Widerstandes, des Exils, der Inhaftierungen in verschiedenen Haftanstalten und Lagern derartig geschwächt, dass sie sich gesundheitlich nicht mehr wirklich erholen konnten. Am 27.08.1946 starb Wilhelm Knipp. Nur wenige Tage später starben Gertrud Vogelsang und ihr Kind bei der Geburt am 30.08.1946.24 Sie hatte sich sehr auf ihr erstes Kind gefreut.
Text: Claudia Müller
Quellen:
1 Mit freundlicher Genehmigung vom VVN-BDA Wuppertal, Archiv
2 Stadtarchiv Wuppertal, Geburtsadresse; E-Mail vom 20.09.2022 und 12.06.2023
3 LAV NRW-Abteilung Rheinland, RW 0058
4 Himmelstein, Klaus: Gertrud Vogelsang, in: Gerhard Birker u.a. (Red): Wuppertaler Biographien, 14. Folge, Wuppertal 1984, S. 79-83 (Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde des Wuppertals; Band 31); LAV NRW-Abteilung Rheinland, RW 0058
5 ebd., LAV NRW-Abteilung Rheinland, RW 0058
6 Stracke, Stephan: Die Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse, Wuppertal 2012, S. 139 ff. (Verfolgung und Widerstand in Wuppertal, Band 12)
7 Quast, Cläre: Wie die Partei in Wuppertal den antifaschistischen Kampf organisierte, in „Im Kampf bewährt“, Erinnerungen deutscher Genossen an den antifaschistischen Widerstand von 1933-1945, eingeleitet und zusammengestellt von Heinz Voßke, Berlin (DDR) 1977, S. 47
8 ebd., S. 33-57
9 ebd., S. 33-57
10 LAV NRW – Abteilung Rheinland – RW_0058 / ~140 / 14091 / R_RW_0058_14091_0008.jpg und _0009.jpg // Gestapo-Unterlagen dort: Gerichte Rep. 88 Nr. 711; NW 1022-K Nr. 12882; NW 1022-K Nr. 10847; NW 1022-V Nr. 10653; RW 0058 Nr. 14091
11 Information: Liselotte (Lilo) Herrmann war eine kommunistische Widerstandskämpferin, die am 20.06.1938 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde.
12 LAV NRW – Abteilung Rheinland – RW 0058
13 Stracke, Stephan: Die Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse, 1. Aufl. 2012, Wuppertal 2012, S. 393 (Verfolgung und Widerstand in Wuppertal, Band 12)
14 LAV NRW, Abtl. Rheinland, RW 0058, Nr. 14091 (Urteilsbegründung, 31.05.1941)
15 Stracke, Stephan: Die Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse, 1. Aufl. 2012, S. 393, (Verfolgung und Widerstand in Wuppertal,
Band 12), Himmelstein zitiert bei Stracke
16 Information Eleonore „Lore“ Wolf: eine deutsche Kommunistin, Verfolgte des NS-Regimes, Politikerin
17 Wolf, Lore: Ich habe das Leben lieb; Tagebuchblätter aus dem Zuchthaus Ziegenhain 1943-1945; Dortmund 1983, S. 31
18 ebd., S. 52
19 ebd., S. 88
20 ebd., S. 91
21 ebd., S. 157
22 Himmelstein, Klaus: Gertrud Vogelsang, in: Gerhard Birker u.a. (Red): Wuppertaler Biographien, 14. Folge, Wuppertal 1984 , S. 79 (Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde des Wuppertals, Band 31)
23 Standesamt Wuppertal, E-Mail vom 03.07.2023
24 Himmelstein, Klaus: Gertrud Vogelsang, in: Gerhard Birker u.a. (Red): Wuppertaler Biographien, 14. Folge, Wuppertal 1984 , S. 83 (Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde des Wuppertals, Band 31)