Foto: Prof. Dr. phil. Felizitas Sagebiel
Prof. Dr. phil. Felizitas Sagebiel
Prof. Dr. phil. Felizitas Sagebiel ist für ihr unermüdliches Engagement im Bereich Gleichstellung bekannt. Durch sie wurden viele Initiativen im Kontext der Frauenbildung, -forschung und -vernetzung auf den Weg gebracht. Dabei durchbrach sie immer wieder institutionelle Grenzen, sexistische Strukturen und männerdominierte Räume. In Wuppertal brachte sie vor allem an der Bergischen Universität geschlechtergerechte Perspektiven und feministische Initiativen voran.
Felizitas Sagebiel (*7.11.1945) (i.R.) ist seit 2008 außerordentliche Professorin und promovierte Sozialwissenschaftlerin (TU Berlin) in der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften der Bergischen Universität Wuppertal. Ihr Fokus in Forschung und Publikation sind Gender, Netzwerke, lebenslanges Lernen, Exzellenz (MINT), geschlechtliche Organisationskultur und “masculinities” in den Ingenieurwissenschaften sowie Gender und Führung in den Ingenieurwissenschaften in unterschiedlichen Organisationen. Berufliche thematische Schwerpunkte waren neben dem Seniorenstudium (Lernen unter der Geschlechterperspektive), Frauenfreundschaften, Kriminalität und Resozialisierung. Seit 2000 beschäftigt sie sich mit dem Themenbereich Gender und Ingenieurwissenschaften und war dazu in diversen Projekten der Europäischen Kommission als Koordinatorin für die Bergische Universität Wuppertal beteiligt: INDECS (2001-2002), Womeng (2002-2005), PROMETEA (2005-2007), MOTIVATION (2008-2010), Meta-analysis of gender and science research (2008-2010). Darüber hinaus koordinierte sie auch ein nationales BMBF-Projekt zu diesem Themenbereich (Kooperation mit dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie unter der Leitung von Prof. Dr. Uta von Winterfeld) (2009-2012). In zahlreichen internationalen Netzwerken ist und war sie aktiv (Women’s World, Gender in Higher Education, Gender Research Networks in der Europäischen und Internationalen Soziologischen Vereinigung etc.). Durch zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge auf relevanten internationalen Fach- und interdisziplinären Konferenzen sorgt sie für die Verbreitung der Ergebnisse in europäischen und außereuropäischen Ländern (Australien, USA, Afrika, Asien). Die vielen Forschungs- und Vortragsreisen erweiterten ihren menschlichen, fachlichen und kulturellen Horizont nachhaltig.
Wie alles begann…
Aufgewachsen in einer fränkischen Kleinstadt als Jüngste von 5 Geschwistern einer schlesischen Flüchtlingsfamilie erlebte sie eine behütete Kindheit und Jugend. Ihr Vater war selbständiger Textilkaufmann, der sich nach dem Krieg eine Teppichfirma aufbaute, ihre Mutter war gelernte Bankkauffrau und Hausfrau. Auf die evangelische Volksschule folgte nach 4 Jahren die mathematisch-naturwissenschaftliche Oberrealschule am Ort, auf der sie ihr Abitur abschloss.
Ein soziales Jahr in der Kranken- und Altenpflege absolvierte sie anschließend am Collegium Augustinum in München. Für das Studium der Sozialwissenschaften entschied sie sich, obwohl oder weil sie diese Fächer weder von der Schule noch aus der Berufspraxis kannte, da sie das breite Fächerspektrum interessierte: Soziologie, Psychologie, allgemeine Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Staats- und Verwaltungs- sowie Privatrecht. Ihr Abschluss: Diplom-Sozialwirtin. Der Studienschwerpunkt der Kriminalsoziologie bestimmte ihren beruflichen Beginn und die folgenden 15 Jahre Berufstätigkeit.
Sie konnte als Berufseinstieg an einem spannenden Projekt der Strafvollzugsreform mitarbeiten, zunächst beim Justizministerium Nordrhein-Westfalens, später finanziert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Ihre Aufgabe war es, die organisationssoziologische Begleituntersuchung zur Entwicklung der Organisationskultur der ersten sozialtherapeutischen Modellanstalt in Düren (NRW) durchzuführen. Die empirischen Daten, die sie sammelte, waren die Grundlage ihrer späteren Dissertation.
Wissenschaftlicher Einstieg und Entwicklung
Von 1973 bis 1978 war sie wissenschaftliche Assistentin am Institut für Forensische Psychiatrie der Freien Universität Berlin. In dieser Funktion konnte sie an ihrer Dissertation mit dem Thema „Zur Sicherung einer therapeutisch orientierten Organisationsstruktur für sozialtherapeutische Anstalten“ arbeiten. Sie beteiligte sich als Sozialwissenschaftlerin aber auch an diversen Projekten des Instituts. So kooperierte sie mit psychologischen und medizinischen KollegInnen in verschiedenen interdisziplinären Forschungsprojekten, wie einem Projekt zur integrierten ambulanten Behandlung von Delinquenten unter Einbeziehung von Psychiatrie, klinischer Psychologie und Sozialpädagogik, teilweise in Kooperation mit der Bewährungshilfe für Jugendliche. Die Kooperation in einem interdisziplinären Team mit der Bewährungshilfe in Form praktischer Aktionsforschung über Gruppenarbeit mit Delinquenten in Berliner Stadtteilen war später Grundlage des Weiterbildungslehrgangs „Problemorientierte Gruppenarbeit für Probanden“ (Konzeption und Organisation). Im Rahmen ihrer Vorstandstätigkeit der Sektion Sozialtherapie im Deutschen Arbeitskreis für Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik (DAGG) war Felizitas Sagebiel an der Konzeption, Planung und Durchführung von sozialtherapeutischen Weiterbildungsprojekten beteiligt. Ihr kriminalsoziologischer Hintergrund brachte sie ab Ende 1979 an die Universität Wuppertal. Ihr Einstieg war der erfolgreiche Kampf um die richtige Besoldungsgruppe, ihr zweiter erfolgreicher Kampf der um die Entfristung der Stelle nach vier Jahren. Sie arbeitete in zwei innovativen Projekten der damaligen Gesamthochschule Wuppertal, nämlich für zwei sog. fachbezogene interdisziplinäre Arbeitsgruppen “Delinquenzprophylaxe und Sozialplanung“ und „Werte- und Strukturwandel in der sozialen Sicherung“. Diese hatten das Ziel, Professoren unterschiedlicher Statusgruppen an einem Thema zu integrieren.
Ab 1986 organisierte und koordinierte sie bis zum formellen Ende ihrer Dienstzeit ein fünfsemestriges sozialwissenschaftliches weiterbildendes Senior*innenstudium im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften. Dadurch, dass zu Beginn dieses Studienangebots ohne Hochschulzugangsberechtigung sich 80 Prozent Frauen beteiligten, ergab sich für sie die Legitimation, das Thema Geschlecht (später Gender) von Anfang an in Lehre, Forschung und Veröffentlichungen zu fokussieren. Mit diesem feministischen Fokus (zunächst Frauenfokus) arbeitete sie auch 10 Jahre im Vorstand der überregionalen Vernetzungsorganisation „Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaftliche Weiterbildung im Alter (BAG WiWA) in der Deutschen Gesellschaft Wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium (DGWF), an deren Gründung sie auch beteiligt war, mit.
Entwicklung des Frauenbewusstseins
Ihre Neuorientierung auf das Thema „Frauen in der Gesellschaft und speziell in der Hochschule“ unter dem damaligen Schlagwort „Frauenförderung“ war nicht der Beginn, aber die berufliche Integrierung ihres Frauenbewusstseins. Sensibilisiert durch Beobachtungen des Bälle-Zuspielens auf wissenschaftlichen vorwiegend „Männertagungen“ und später auch in Berufungskommissionen entwickelte sich ihre thematische Umorientierung. Zur Sensibilisierung der Frauenforschungsperspektive in der Wissenschaft organisierte sie 1985 bis 1987 Ringvorlesungen mit auswärtigen Frauenforscherinnen wie Cheryl Benard, Edit Schlaffer, Christl Neusüß, Luise Pusch, Barbara Schaeffer-Hegel, Sarah Jansen und Eva Senghaas-Knobloch aus unterschiedlichen Disziplinen (Soziologie, Ökonomie, Politikwissenschaft, Physik, Sprachwissenschaften).
Flyer der ersten Offenen Frauenhochschule; Design: K. Holbeck; Material z. Vfg. gestellt v. Ulla Hendrix. Foto: Fabienne André
Die erste sog. „Offene Frauenhochschule“ an der Universität Wuppertal 1989 zum Thema „Frauen untereinander“ geht auf ihre Initiative zurück, mit der sie die Erfahrungen aus anderen Hochschulen, wie FU Berlin, Bremen, Kassel einbrachte.
Das Konzept sah vor, für Frauen innerhalb und außerhalb der Hochschule ein niederschwelliges Angebot der wissenschaftlichen Weiterbildung zur Frauenforschung in den unterschiedlichen Disziplinen zu machen. Durch ihre Initiative wurden bis 1997 viele feministische Veranstaltungen organisiert, in denen unterschiedliche Frauen teilnehmen konnten.
Universitäre Selbstverwaltung
Frauenförderung und später Gleichstellung motivierte sie, sich in diversen Selbstverwaltungskommissionen der Universität aktiv zu beteiligen. Sie war im Personalrat der wissenschaftlich und künstlerisch Beschäftigten aktiv (auch überregional) und vernetzte sich mit dem Personalrat für nichtwissenschaftlich Beschäftigte in dem Arbeitskreis „Frauen in der BUGH Wuppertal“, der sich um Frauenförderung in allen Gruppen kümmerte und schließlich die Institutionalisierung der Frauenbeauftragten und der Senatsfrauenkommission erreichte. Zudem war sie im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, im Konvent und in verschiedenen Senatskommissionen als Vertreterin der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen tätig. Im Rahmen dieser Selbstverwaltungsaktivitäten setzte sie sich besonders für Fragen der Gleichstellung von Frauen in der Hochschule ein. Sondervoten zur Bekämpfung von Frauendiskriminierung in Berufungskommissionen gehörten in mehreren Fällen zu ihren herausragenden Aktivitäten. Für frauenpolitische Innovationen in Forschung und Selbstverwaltung erhielt sie 2008 den Gleichstellungspreis der Bergischen Universität Wuppertal.
Weitere Frauenforschungs- und feministische Projekte
Bis 1990 führte Felizitas Sagebiel zusammen mit ihrer juristischen Kollegin Dr. Margot Gebhardt-Benischke interdisziplinäre, mehrsemestrige sog. Lehrforschungsprojekte zur damaligen sog. Frauenforschung durch. Das Projekt „Kommunale Gleichstellungsstellen/ Frauenberichte“ wurde in enger Kooperation mit allen an der Gleichstellung in der Kommune Wülfrath befassten Institutionen (Parteien, Personalrat und Gleichstellungsbeauftragte) und Frauen aus allen politischen Parteien (CDU, SPD, DKP, FDP) durchgeführt. Studentinnen konnten ihr obligatorisches Forschungspraktikum im Rahmen ihres sozialwissenschaftlichen Studiums absolvieren.
Mit Frauenfreundschaften in Ostdeutschland, den sog. Neuen Ländern, beschäftigte sich Felizitas Sagebiel 1994 bis 1998 in einem eigen finanzierten Forschungsprojekt „Zur Veränderung von Frauenfreundschaften in Ostdeutschland infolge der Wende“. Zur Durchführung der qualitativen Interviews mit Frauen unterschiedlichen Alters, politischer Orientierung und Wohnsitzen in den verschiedenen neuen Ländern fuhr sie mit ihrem Wohnmobil durch alle Gegenden Ostdeutschlands. Auf internationalen Tagungen stellt sie immer wieder Ergebnisse dieser Forschung vor und diskutiert dabei auch mit ostdeutschen WissenschaftlerInnen.
Mit Hilfe ihrer Forschungsgelder aus europäischen und nationalen Projekten konnte sie u.a. die Ringvorlesung „Gender interdisziplinär“ im Sommersemester 2010 und Wintersemester 2010/2011 finanzieren, die sie zusammen mit Prof. Dr. Katharina Wagenbach organisiert und durchgeführt hat.
Familienleben/ Privatleben
1983 kam ihr erster Sohn Jan und 1990 ihr zweiter Sohn Joshua auf die Welt. Nach den Geburten nimmt sie lediglich die Mutterschutzfristen, aber auch Stillzeiten in Anspruch und erkämpft letztere in der Hochschule. Da sie keine Familienangehörigen in der Nähe wohnen hat, organisiert sie von Anfang an Fremdbetreuung. In einer Initiativeinrichtung arbeitete sie Mitte der 1990er Jahre in einer schwierigen Situation im Vorstand und war zuständig für das Personal. Während dieser Zeit arbeitete sie teilweise in zwei Schichten, um 7 Uhr ging es in die Kita, um halb 10 Uhr in die Uni.
Solange das Frauencafé mit Frauenbuchladen in Wuppertal existiert, überweist sie regelmäßig jährlich größere Spenden, um diese Fraueninitiativen am Leben zu erhalten.
Sie war seit Beginn im Vorstand des Vereins (1990) und ab 2004 der Stiftung „Aufmüpfige Frauen“ (Stifterin Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel) (im Vorstand bis 2021) aktiv. In dieser Funktion war sie an der Auswahl von „aufmüpfigen Preisträgerinnen“ beteiligt, um Frauen, wie Prof. Dr.-Ing. Aylâ Neusel, Anne Wizorek, Düzen Tekkal und Stefanie Lohaus, in ihrem feministischen Engagement ohne institutionellen Hintergrund sichtbar zu machen.
Nachberufliche feministische Aktivitäten
Noch während ihrer beruflichen Arbeit führt sie eine Art Selbstprojekt durch, indem sie sich auf Produktionen und Publikationen von Frauen in Wissenschaft und Kunst konzentriert, um so eine Chance zu gewinnen, Werke von Frauen für sich sichtbar zu machen und besser zu erinnern. So möchte sie ihrer grundlegenden patriarchalen Prägung gegensteuern. Sie nennt es „Meine feministische Selbsterziehung bezogen auf Bücher, Filme, Kunst, Wissenschaft von Frauen“.
Hatte sie sich schon vor und nach der Geburt ihrer Kinder künstlerisch betätigt (Fotografie, figürliche Tonarbeiten und Malerei), so findet sie jetzt ihre künstlerische Leidenschaft in der Gestaltung ihrer Gärten und seit einigen Jahren in eigener Bilderhauerei von starken Frauen und Göttinnen. Sie greift damit frühere Aktivitäten wie ihre Fotoausstellung „Frauen in Rwanda“ von 1982 im Wuppertaler Frauencafé und in der Berliner Schokoladenfabrik wieder auf. Langsam erfolgt ihre feministische Umorientierung von Wissenschaft auf Kunst, Literatur und Film. Seit fünf Jahren veranstaltet sie in Kooperation mit ihrem Sohn Jan und ihrer ehemaligen Mitarbeiterin Christina Schultes (als KuratorInnen) Kunstausstellungen in ihrem Berliner Garten, wobei die Kunstwerke, überwiegend von Frauen, so gestaltet werden, dass sie neue Bilder in ihrer gärtnerischen Umgebung ergeben. Ein Beispiel für ihre wissenschaftliche Umorientierung ist ihr Aufsatz über das Feministische in Mary Bauermeisters Kunst, einer Künstlerin, die eher als Wegbereiterin der Fluxuskunst (von männlichen Künstlern) gesehen wird. Obwohl sie sich selbst im amerikanischen Kunstbetrieb in jungen Jahren durchsetzte, übertrug sich dies nicht auf eine entsprechende Anerkennung (Sichtbarmachung) auf dem deutschen Kunstmarkt.
Text: Fabienne André
Verortung:
Verortet auf dem Stadtplan wurde Prof. Dr. phil. Felizitas Sagebiel an der Bergischen Universität Wuppertal, Campus Grifflenberg
Quellen:
Material von Felizitas Sagebiel
https://www.netzwerk-fgf.nrw.de/wissenschaftlerinnen/portrait/felizitas-sagebiel… (Stand: 03.02.2023)