Foto: © 2019 Elizabeth Otto/Patrick Rössler, Knesebeck Verlag
(mit freundlicher Genehmigung), Mail vom 26.07.2022
Lore Ribbentrop-Leudesdorff
Hortense Lore Leudesdorff1 ist am 16.08.1902 als Tochter einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie in Elberfeld (Wuppertal, Markgrafenstraße 23) geboren. Als sie 6 Jahre (1908) alt war, verstarb der Vater und die Familie konnte ihren bisherigen Lebensstandard nicht aufrechterhalten. Lore und ihre Schwester kamen für mehrere Jahre in ein Kölner Kinderheim. Die Mutter heiratete einen Industriellen, August Engstfeld, der die beiden Mädchen aufnahm. Nach dem vorzeitigen Ende ihres Schulbesuchs und einer kurzen Zeit an der Kunstgewerbeschule in Elberfeld schrieb sie sich 1921 am Bauhaus in Weimar ein.
Lore Leudesdorff-Engstfeld besuchte das Städtische Mädchengymnasium in Essen, verließ es jedoch Ostern 1920 ohne Abitur. 1921 siedelte sie nach Darmstadt um, da sie sich für ein Studium an der Technischen Universität interessierte. Wegen des fehlenden Abiturs wurde sie nicht angenommen, erhielt aber den Hinweis auf das Bauhaus in Weimar, das Studierende nach Eignung zuließ. Zum Wintersemester 1921/1922 schrieb sie sich beim Bauhaus ein und begann einen Vorkurs bei Johannes Itten. Am 05.04.1922 entschied der Meisterrat sie aufzunehmen und sie begann – wie damals für Frauen üblich – in der Werkstatt der Weberei.
Sie arbeitete am Hochwebstuhl, wob einen großen abstrakten Wandbehang, fertigte Schals und Gardinenstoffe. Ihre weiteren Lehrer waren Georg Muche und Paul Klee. Während ihrer Bauhauszeit entstanden auch „abstrakte“ Radierungen. 1923 unterbrach sie ihr Studium am Bauhaus, um für ein Semester an der Textilfachschule in Krefeld zu studieren. Hier scheint sie ihre Begabung für Färberei und Textildruck entdeckt zu haben. 1924/1925 verließ Lore Leudesdorff das Bauhaus und Walter Gropius bescheinigte ihr eine umfassende Berufsausbildung. Sie zog nach Berlin und arbeitete mit dem Avantgarde-Filmer Walter Ruttmann zusammen. Mindestens drei kurze Filme sind belegt2. Ihre künstlerische Mitarbeit an den Filmprojekten wurde in Abrede gestellt, wogegen sie sich im Mai 1968 mit einer eidesstattlichen Erklärung zur Wehr setzte. Später erweiterte sie diese Erklärung noch einmal. 1928 entwarf sie für die Firma (Haweco) ihres damaligen Ehemannes Stoffdruckmuster. Nach der Trennung von ihm machte sie sich 1932 mit ihrem Atelier (Atelier Leudesdorff) selbstständig. Bis in die Nachkriegszeit war sie eine der gefragtesten Gestalterinnen für Textilien. Im Sinne des Bauhauses wurden ihre Textilien für den Massenbedarf gefertigt, in der Formensprache hatten ihre Arbeiten aber nur noch wenig mit dem Bauhaus zu tun.
Während der NS-Zeit war Lore Leudesdorff gezwungenermaßen Mitglied in der Reichskammer der bildenden Künste, aber kein Mitglied der NSDAP. Aus moralischen Gründen half sie verfolgten jüdischen Nachbarn und unterstützte eine Widerstandsgruppe. Sie meldete sich als Freiwillige für den Berliner Lazarettdienst und wurde als Schwesternhelferin ausgebildet. In Ausübung dieser Tätigkeit zog sie sich 1943 eine Aderhautentzündung im Auge zu, was sukzessive zur Erblindung führte. 1952 musste sie deshalb ihre Entwurfstätigkeit aufgeben. Um weiter künstlerisch tätig sein zu können, begann sie Techniken anzuwenden, die sie mit den Händen ertasten konnte. Sie nahm ihre am Bauhaus erlernten Techniken der Kaltnadelradierung und des Bronzegusses von Plastiken und Reliefs wieder auf. Es war ihr noch möglich, kleine Ausstellungen zu gestalten.
Am 26.08.1986 starb Lore Leudesdorff in ihrer Berliner Wohnung nach zwei Schlaganfällen. Sie war zweimal verheiratet, zuletzt (seit 1939) mit dem Ingenieur Fritz Ribbentrop und hat einen Sohn (René Leudesdorff, *1928, +2012) aus einer weiteren Beziehung.
Text: Claudia Müller
Quellen:
1 Hier und im folgenden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Lore_Ribbentrop-Leudesdorff; (Stand: 18.07.2022)
Lore Leudesdorff-Engstfeld in Otto, Elizabeth, Rössler, Patrick: Frauen am Bauhaus, Wegweisende Künstlerinnen der Moderne. Knesebeck, 3. Auflage München 2019; S. 46-51. Nach Schilling, Susanne: Die Bauhausschülerin Lore Leudesdorff. Leben und Werk; Magister-Abschlussarbeit an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 2009.
https://kurier.at/wirtschaft/immobiz/unbekannter-einfluss-der-bauhaus-frauen/401088225
(vom 05.11.2020; Fassung 20.07.2022)
2 https://www.filmpodium.ch/film/169599/der-abstrakte-film-und-die-absolute-filmarbeit-der-frauen-vom-bauhaus
(Opus 3+4; Der Aufstieg) (Stand: 20.07.2022)