Foto: © Thekla Landé: StAW Fotosammlung (FS) Nr. 1819 b,
mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchiv Wuppertal
Thekla Landé
Thekla Landé1 wurde am 28. November 1864 in Ostrowo als jüngstes von fünf Kindern geboren. Wenige Jahre später zogen die Eltern Moritz und Sophie Landé mit der Familie nach Berlin, wo der Vater erfolgreich als Architekt arbeitete.
Wie für jüdische Familien nicht unüblich, heiratete Thekla Landé 1886 einen Verwandten, ihren Cousin Hugo Landé (1859-1936). Sie folgte ihm ein Jahr später in die bedeutende Textilindustriestadt Elberfeld, wo Hugo eine Rechtsanwaltskanzlei eröffnet hatte. Die beiden bekamen sechs Kinder: Alfred (1888-1976), Charlotte (1890-1977), Franz (1893-1942), Eva (1901-1977) und Zwillinge, die bereits im Säuglingsalter starben. Anfang der 1890er Jahre zog die Familie von der Herzogstraße 40 in ein eigenes Haus in der Luisenstraße 85. Hugo und Thekla Landé traten aus der jüdischen Gemeinde aus und wandten sich als „Freidenker“ der SPD und der Arbeiterbewegung zu, was durch ihre bildungsbürgerliche Herkunft auch auf Kritik stieß.
Nach der Geburt der ersten Tochter Charlotte, genannt Lotte, wollte Thekla, der selber wegen ihres Geschlechts ein höherer Schulabschluss verwehrt war, die eingeschränkten Bildungsmöglichkeiten von Mädchen nicht akzeptieren.
Tochter Lotte erinnert sich:
”Meine Mutter … hat mir später immer erzählt, dass sie bei meiner Geburt erst geweint hat. Sie wollte eigentlich kein Mädchen haben, weil Mädchen doch nichts lernen durften … und dann hat sie sich was vorgenommen, ‚so ein Blödsinn, dieses Mädel darf studieren, wenn sie begabt genug ist, sie darf alles lernen, was sie will, das wird schon in Ordnung gebracht werden’, und so kam es dann.“2
Aus dieser Traurigkeit heraus schuf ihre Mutter mutig Angebote für eine gleichberechtigtere Bildung für Mädchen und Frauen – eines ihrer Lebensziele.
Als Vorreiterin hatte Helene Lange (1848-1930), Gründerin und Vorsitzende des „Allgemeinen Lehrerinnen-Vereins“, mit anderen Frauen zusammen bereits Anfang der 1890er Jahre in Berlin von der preußischen Regierung die Einführung von „Realgymnasialkursen“ für bürgerliche Mädchen erwirkt, lange bevor 1908 Preußen mit der Mädchenschulreform das Gesetz zur allgemeinen Zulassung für Mädchen zum Abitur und damit zum Studium erließ.3
1905 organisierte Thekla Landé in Elberfeld den ersten privaten „Realgymnasialkurs“ für ihre Tochter Lotte und neun andere begabte Mädchen. Bereitwillige Gymnasiallehrer unterrichteten gegen Honorar Mädchen im Alter von 14 bis 21 Jahren nachmittags für drei Stunden an Jungengymnasien. Die Kurse gingen über vier Jahre, das Abitur wurde extern in benachbarten Städten abgenommen.
Für die Kursteilnehmerinnen, die auch aus den umliegenden Städten bis hin nach Hagen und Düsseldorf kamen, musste jeweils eine Unterkunft gefunden werden. So wurden allein 1909 bei parallel laufenden Kursen über 50 Mädchen betreut.
Nach dem Ende des siebten Kurses 1914 erlaubte die Stadt Elberfeld keine weiteren mehr, wohl auch, weil es schon ab 1910 in Barmen eine gymnasiale Studienanstalt für Mädchen gab, die zum zum Abitur führte. Erst 1926 wurde am Lyceum West an der Aue eine „Studienanstalt i.E. [in Entwicklung]“ aufgebaut.4
Auch im politischen Bereich betätigte sich die Rechtsanwaltsgattin. Während Hugo Landé nach der Aufhebung des „Sozialistengesetzes“ (1878-1890) 1909 zu den ersten SPD-Kommunalpolitikern im Rheinland gehörte, war für Frauen die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei von 1850 bis 1908 verboten. Danach zählte Thekla Landé zu den ersten weiblichen Mitgliedern der SPD, die bereits im Erfurter Programm von 1891 das „allgemeine, gleiche, direkte Wahl- und Stimmrecht…ohne Unterschied des Geschlechts für alle Wahlen und Abstimmungen“ – eine der wichtigsten Themen der damaligen Frauenbewegung – forderte und „die Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlicher und in privatrechtlicher Beziehung dem Manne gegenüber benachteiligen.“5
In der Verbotszeit waren Frauen kreativ. Sie gründeten u.a. „Frauenbildungsvereine“, die argwöhnisch von der Polizei kontrolliert, zwischenzeitlich auch verboten wurden und Frauen sogar in Haft kamen. 1892 entstand in Elberfeld mit der Nähe zur Sozialdemokratie der „Bildungsverein für Frauen und Mädchen des arbeitenden Volkes“, wo Thekla Landé Vorträge hielt. Sie engagierte sich ebenfalls im 1894 gebildeten „Verein für Frauenbestrebungen“, der Arbeit als „Ehre“ ansah und sich für die generelle Berufstätigkeit von bürgerlichen Mädchen und Frauen einsetzte, ohne dass diese ihre gesellschaftliche Stellung verlieren sollten.6
Mit dem lange erkämpften Frauenwahlrecht 1918 verfehlte Thekla Landé knapp die Teilnahme an der Nationalversammlung, wurde dann aber in der Weimarer Republik eine von drei SPD-Kommunalpolitikerinnen im Elberfelder Stadtrat bis 1932, während die anderen beiden Frauen bald ausstiegen.
Ihr Tätigkeitsbereich war die Wohlfahrtspflege, Jugendpflege, Betreuung von Waisen, Befürwortung von „freien“ Schulen und sie verfolgte weiterhin ihr Ziel einer gleichberechtigten, höheren Mädchenbildung. Sie stellte Anträge für die Errichtung von Volkskindergärten bzw. Tagesheimen, auch als Nachkriegslösung, um Frauen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen.
Im Dezember 1920 gehörte sie der Sozialkommission des Düsseldorfer Landtags an. Diese beschäftigte sich u.a. mit der Lage minderjähriger unehelicher Mütter. Sie bekam kleine Gelder für Mütter- und Säuglingsheime.
Am 20. November 1932, einige Monate vor der Machtergreifung Hitlers, verstarb „Frau Justizrat Hugo Landé, Thekla, geb. Landé“ nach jahrelangem Herzleiden. Die Urne wurde auf dem städtischen Friedhof in Wuppertal-Ronsdorf beigesetzt. Zur Einäscherungsveranstaltung im Hagener Krematorium kamen viele Freunde und Bekannte, der Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal und Vertreter*innen fast aller Fraktionen. In der Trauerrede des Rektors Bamberger von der „Freien Schule“ an der Bartholomäusstraße heißt es: „Denn vor uns liegt das Gedächtnis eines reichen, großen Menschenlebens, das ein Stück Geschichte zu bedeuten hat.“7
Seit 2001 hängt ein Porträt von Thekla Landé im Barmer Rathaus. Wünschenswert wäre eine Infotafel oder ein QR-Code an ihrem Wohnhaus in der Luisenstraße 85 oder am Historischen Rathaus Elberfeld, um auf die Verdienste dieser engagierten Politikerin und Frauenrechtlerin hinzuweisen.
Text: Elke Brychta
© Thekla und Hugo Landé, um 1890, Familienbesitz Landé, mit freundlicher Genehmigung
Verortet wurde Thekla Landé im Stadtplan im Historischen Rathaus Elberfeld, Neumarkt 10.
Abbildungen:
Porträt Thekla Landé: StAW Fotosammlung (FS) Nr. 1819 b, mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Wuppertal
Foto Thekla und Hugo Landé, um 1890: Familienbesitz Landé, mit freundlicher Genehmigung
Quellen:
1 Reinhold, Anna-Maria: Thekla Landé (1864-1932), Kommunalpolitikerin, in: Brychta, Elke; Reinhold, Anna-Maria; Mersmann, Arno: mutig.streitbar.reformerisch. Die Landés – Sechs Biografien 1859-1977, Essen 2004, S. 49-86.
2 Czempin, Charlotte, geb. Landé: Tonbandaufnahmen 1977.
3 Kleinau, Elke; Opitz, Claudia (Hg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Bd. 2:
Vom Vormärz bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M./New York 1996. Thematische
Schwerpunkte in verschiedenen Einzelbeiträgen.
4 Reinhold, Thekla Landé, S. 59ff. Brychta, Elke; Reinhold, Anna-Maria: „…sich keine
Konkurrenz zu machen“. Die Anfänge des Mädchenabiturs in Elberfeld und Barmen, in:
Geschichte im Wuppertal, hrsg. vom Bergischen Geschichtsverein, Abteilung Wuppertal
e.V., 14. Jg. 2005, S. 41-50.
5 Reinhold, Thekla Landé, S. 52. Erfurter Programm:
https://www.marxists.org/deutsch/geschichte/deutsch/spd/1891/erfurt.htm (Stand: 6.12.22)
6 Reinhold, Anna-Maria: „…die Frauenfrage in den Schwesterstädten in Fluß gebracht“.
Antonie Pieper in Barmen und ein erfolgreicher Zusammenschluss bürgerlicher Frauen im
Wuppertal zwischen Fortschritt und Tradition, in: Geschichte im Wuppertal, hrsg. vom
Bergischen Geschichtsverein, Abteilung Wuppertal e.V., 17. Jg. 2008, S. 45-65.
7 Reinhold, Thekla Landé, S. 83-84.
Brychta, Elke; Reinhold, Anna-Maria; Mersmann, Arno: mutig.streitbar.reformerisch. Die Landés. Sechs Biografien 1859-1977, Essen 2004. In diesem Buch haben auch Nachfahren der Familie Landé eigene Beiträge eingebracht und Einblicke in ihr Leben gegeben, das geprägt war von der NS-Verfolgungsgeschichte mit Auswirkungen auf die übernächste Generation.