Foto: Ausschnitt aus Postkarte, mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Wuppertal.
Johanna Faust
Johanna Faust
Dass sie einmal die Kirchen- und Sozialgeschichte des Wuppertals mitprägen würde, war ihr nicht in die Wiege gelegt. Johanna Wilhelmina Kesseler (lt. Geburtsurkunde) wurde am 28. März 1825 als Tochter einer armen lutherischen Kattunweberfamilie aus dem Arbeiterviertel am Arrenberg, das damals noch ländlich geprägt war, geboren. Mit 12 Jahren brach sie vorzeitig den Schulbesuch ab, um drei Jahre nach dem Tod des Vaters die Mutter, sich und ihre drei Geschwister als Seidenweberin in einer Fabrik finanziell mit zu unterstützen. Im Konfirmandenunterricht wurde sie nachhaltig von der christlichen Religion geprägt.
Ihr Haus in der Riemenstraße, das sie mit ihrem Ehemann (Heirat 1853) und „Hauskreuz“, dem alkoholkranken Riemendreher Friedrich Wilhelm Faust (1825-1888), bewohnte, entwickelte sich zu einem vielseitigen Treffpunkt z.B. für Jünglings- und Jungfrauenvereine, Bibelstunden oder der von ihr bereits mit 19 Jahren gegründeten Sonntagsschule für Kinder zur religiösen Unterweisung. Seit einem „Erweckungserlebnis“ während einer schweren Erkrankung als 18-Jährige stellte sie ihr Leben ganz in den Dienst des christlichen Glaubens, immer dem Pauluswort folgend: „Das Weib schweige in der Kirche“. Es hieß, „sie ersetze zehn Pfarrer“.
Modern und emanzipiert gab sie sich nicht. „Wenn ich dich auf dem Fahrrad sehe, dann kenne ich dich nicht“, soll sie einer jungen Frau gesagt haben. Die „gute Tante Hanna“ war aber geschäftstüchtig. Um 1856 eröffnete sie mit ihrem Ehemann im eigenen Haus einen Hausierhandel für Kolonialwaren, insbesondere für Kaffee, und betrieb durch zahlreiche Spenden aus den bürgerlichen Familien schon früh ein „Armenstübchen“ mit kostenloser Verteilung von Lebensmitteln und Kleidung an Bedürftige. Mit ihrer freundlichen und hilfsbereiten Art half sie vielen Kranken und Armen. Bereits als junger Mensch hatte sie in den 1840er Jahren Hilfsbedürftige aufgesucht, dort geputzt und Essen hingebracht.
Ihre besondere Wirkungsstätte war das in der Nähe des Zooviertels gelegene „Elendstal“ am Kiesberg, von dem sie in den 1860er Jahren erstmalig hörte. Hier hausten die Ärmsten der Armen in Erdlöchern und Lehmhütten, die in das frühindustrialisierte Wuppertal gekommen waren auf der Suche nach Arbeit. Der städtische Steuereintreiber fand bei ihnen nichts zu holen und prägte den Begriff „Elendstal“. „Ich dachte, steck dir ein paar Zigarren in die Tasche und dann in Gottes Namen zu den armen Menschen“. Über diesen „Trick“ fand Johanna Faust Zugang zu den verschlossenen Familien, so dass sie 1868 im Elendstal eine weitere Sonntagsschule gründen konnte.
Angefangen hatte es im Freien, dann in von Familien zur Verfügung gestellten Räumen, die wegen des ständig wachsenden Interesses an den Bibelstunden bald zu klein wurden. Nach einer „Eingebung“ und durch viele Spenden sowie kostenfreie Dienste erwirkte die „gute Tante Hanna“ den Bau eines Fachwerkhauses. Ihr Vetter Wilhelm Fischbach spendet das Grundstück; die Textilfabrikanten, der reformierte Wilhelm Meckel und der lutherische Wilhelm Boeddinghaus gaben je 100 Taler.
1872 konnte das vom bekannten Architekten Heinrich Bramesfeld (u.a. Villa Schmits und Trinitatiskirche) entworfene Gebäude als „Elendstaler Kapelle“ eingeweiht werden, die sich zu einer bedeutenden evangelischen Versammlungsstätte des Bergischen Landes entwickelte.
Ende der 1870er Jahre verkaufte Vetter Fischbach sein Anwesen auf der Königshöhe, darunter das wegen der übervollen Kapelle von seiner Cousine mitbenutzte Lokal, an Baron August von der Heydt. Das von ihrem Jungfernverein aus vielen Lappen zusammengenähte Zelt als „Ersatzraum“ wurde durch Unwetter zerrissen. Großzügige finanzielle Unterstützung erhielt Hanna Faust wiederum von Wilhelm Boeddinghaus zum Bau einer großen Halle.
Für zahlreiche christliche Vereine und Kreise in Elberfeld und Barmen wurde es zur Tradition, mindestens einmal im Jahr das Elendstal zu besuchen, wo bedeutende Pfarrer aus dem Wuppertal predigten. Johanna Faust richtete hier auch mehrere Feste aus, darunter den Geburtstag des Kaisers oder ein Missionsfest.
Die „Volksmissionarin vom Arrenberg“ sah keine Vereinbarkeit von christlichem Glauben und den im 19. Jahrhundert aufkommenden sozialistischen Bestrebungen. Als „Netzwerkerin“ engagierte sie sich aber in vielen, teilweise selbst gegründeten Vereinen. Durch ihren Handel vor allem von Kaffee hatte sie viele Kontakte, kämpfte gegen die Prostitution und den Alkoholismus. So verteilte sie beispielsweise die Vereinszeitung der christlichen Organisation „Blaues Kreuz“.
Johanna Faust vermachte den Gebäudekomplex, der nicht mehr existiert, 1899 an die 1848 gegründete und heute noch existierende Evangelische Gesellschaft für Deutschland. Ebenso sammelte sie für ein neues Vereinshaus der Gesellschaft, das erst nach ihrem Tod auf ihrem Grundstück in der Riemenstraße errichtet wurde.
Bei ihrer Beerdigung 1903 war die Trinitatiskirche am Arrenberg mit ca. 1300 Plätzen gänzlich überfüllt. Viele Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten nahmen von ihr Abschied.
Die ein Jahr später erschienene Biografie des Pfarrers Wilhelm Busch über „Tante Hanna“ verkaufte sich sehr schnell und wurde oft neu aufgelegt. Das Grab auf dem lutherischen Friedhof an der Hochstraße gibt es seit 1975 nicht mehr, stattdessen hängt die Grabesplatte im Eingangsbereich der Anlage. Dazu erinnern heute Geschichtstafeln in der Riemenstraße und an der Sambatrasse im Zooviertel an die bedeutende „Volksmissionarin“, die „gute Tante Hanna vom Arrenberg“.
Text: Elke Brychta
Quellen:
Wilhelm Busch: Tante Hanna. Ein Wuppertaler Original, 14. Aufl., Elberfeld 1933
Gerhard Deimling/Harald Seeger: Tante Hanna, Wuppertal und Zürich 1989