Foto: Von unbekannt – Büro des Reichstags (Hg.): Handbuch der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung,
Weimar 1919, Carl Heymans Verlag, Berlin, PD-§-134,
https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=5097367
Helene Weber
In ihrer Geburtsstadt fast vergessen, gehört Helene Weber zu den den bedeutendsten Persönlichkeiten aus dem Wuppertal. Die konservativ geprägte katholische Frauenrechtlerin, engagierte Netzwerkerin und Multiplikatorin ist eine Frau der “ersten Stunde”.
Die eloquente Zentrumspolitikerin wurde wegen ihrer Sachkompetenz 1918 als eine der wenigen Frauen in die Weimarer Nationalversammlung gewählt. Sie war Mitglied im Preußischen Landtag und dort die erste Ministerialrätin, wurde Abgeordnete im Reichstag. 1933 sofort entlassen, überstand sie die NS-Zeit mit vielen Reisen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte sie dem Parlamentarischen Rat als eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“ an und bis zum Lebensende 1962 dem Deutschen Bundestag als CDU-Politikerin der von ihr mitbegründeten neuen Partei. Sie erhielt 1956 das Bundesverdienstkreuz mit Stern, 1961 mit Schulterband. Im selben Jahr wurde sie auch mit dem päpstlichen Orden „Pro Ecclesia et Pontifice“ geehrt. Wegen ihrer Verdienste um die Frauenbildung und Jugendpflegearbeit hatte ihr die Universität Münster bereits 1930 als erste Frau die Ehrendoktorwürde des Dr. rer. pol. verliehen.
Helene Auguste Weber wurde am 17. März 1881 in der Untergrünewalder Straße geboren als zweites von sechs Kindern des katholischen Volksschullehrers Wilhelm W. Weber und seiner Frau Agnes Christiane, geb. van Gent, eine gebürtige Niederländerin. Nach dem frühen Tod der Mutter kümmerte sich der alleinerziehende Vater um die Kinder und legte großen Wert auf eine gute Schulbildung. So wurde eine Schwester von Helene ebenfalls Lehrerin, zwei Brüder Juristen.
Helene Weber wuchs in einer kleinbürgerlichen, konservativ-religiösen, aber weltoffenen Familie auf. Durch ihren Vater als Vorsitzender der örtlichen Zentrumspartei kam sie schon früh mit politischen Ideen und sozialen Problemen in Berührung. Dies ließ in ihr den Wunsch reifen, selber auch in die Politik zu gehen. Doch bis 1905 war es Frauen verboten, einer politischen Partei anzugehören.
Wie für Mädchen aus dem Bildungsbürgertum üblich, besuchte Helene Weber von 1887-1890 die Städtische Höhere Mädchenschule in Elberfeld, dann die Lehrerinnenbildungsanstalt in Aachen. Von 1900-1905 unterrichtete sie an Volksschulen in Haaren bei Aachen und in Elberfeld, kehrte also auch zeitweilig in ihre Heimatstadt zurück. Sie wollte aber mehr!
Seit 1905 bereits als Gasthörerin an der Bonner Universität eingeschrieben, konnte sie endlich ab 1908 mit der vollen Zulassung für Frauen zum Studium Geschichte, Französisch, Philosophie und Volkswirtschaft in Bonn und Grenoble studieren. Danach unterrichtete sie als Oberlehrerin in Bochum und Köln. Ihr beruflicher Werdegang bis hierher zeugt schon von ihrem starken Willen, aus dem engen Wuppertal herauszutreten und die Bildungs- und Berufschancen ihrer Zeit zielstrebig zu nutzen.
So lehnte sie das Angebot des damaligen Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer ab, die Leitung des Lyzeums III zu übernehmen unter Aufgabe ihrer politischen Tätigkeit. 1916 ließ sie sich beurlauben und übernahm die Leitung der vom Katholischen Frauenbund Deutschlands (heute KDFB) und ihrem Engagement errichteten ersten sozialen Frauenschule (Wohlfahrtsschule) in Köln, der sie dann mit dem Umzug nach Aachen folgte. Ebenfalls 1916 beteiligte sie sich an der Gründung des Berufsverbands für katholische Fürsorgerinnen, zu dessen Vorsitzenden sie bis an ihr Lebensende immer wieder gewählt wurde.
In den Mittelpunkt ihres Lebens stellte die in vielen Verbänden und Ämtern tätige Sozial- und Kulturpolitikerin die katholische Frauenarbeit, die Professionalisierung der Fürsorgerinnen, die Jugendwohlfahrt, den Schutz von Müttern und Familien.
So sehr sie sich bei ihren vielen Reisen, Vorträgen und Versammlungen unermüdlich für eine staatsbürgerliche Bildung von Frauen und für deren Berufstätigkeit einsetzte, gleichen Lohn bei gleicher Arbeit forderte, war ihr Denken aus ihrem katholischen Sozialverständnis vom klassischen patriarchalischen Rollenbild geprägt, in dem verheiratete Frauen zuhause bleiben und die Kinder großziehen. In den 1950er Jahren plädierte sie noch für die Wiedereinführung des „Lehrerinnenzölibats“. Strafmilderungen bei Abtreibungen lehnte sie strikt ab. Sie wollte keine „schematische“ Gleichmacherei, sondern den „Eigenwert“ der Frauen bewahrt sehen – ein unauflöslicher Grundwiderspruch zu ihrem eigenen emanzipatorischen Lebensentwurf. Aber sie selbst blieb, unverheiratet und aufopfernd, demütig und zutiefst gläubig, ihrem traditionellen christlichen Wertesystem trotz Kritik auch aus den eigenen Kreisen ein Leben lang treu.
Helene Weber stirbt am 25. Juli 1962 in einem Bonner Krankenhaus und wird in der Familiengruft auf dem Nordfriedhof in Recklinghausen beigesetzt. Sie hat keine Bücher geschrieben, aber zahlreiche Beiträge in Verbands- und Fachzeitschriften. Sie bekleidete nie ein Ministeramt, wurde aber wegen ihrer Kompetenz, Sachlichkeit und ihrem Durchsetzungsvermögen von allen respektiert, auch auf europäischer Ebene z.B. als Mitglied bis 1962 im 1950 gegründeten Europarat.
1961 erreichte sie mit anderen weiblichen Abgeordneten, dass Bundeskanzler Adenauer in seinem vierten Kabinett zum ersten Mal mit Elisabeth Schwarzhaupt eine Frau zur Ministerin ernannte. Diese war für das Gesundheitswesen zuständig.
Seit 2009 gibt es den Helene-Weber-Preis des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für ehrenamtliche Kommunalpolitikerinnen und das dazugehörige Helene-Weber-Netzwerk für überparteiliche und länderübergreifende Zusammenarbeit.
Das Bundestagsgebäude in der Berliner Dorotheenstraße 88 trägt seit 2017 ihren Namen.
In Wuppertal war Ende 1988 zunächst eine Treppe zwischen Kyffhäuserstraße und Nützenberger Straße nach ihr benannt worden. Dies wurde aber im August 1989 wieder aufgehoben. Ein paar Tage später erhielt ein kleiner, wenig aufgesuchter Platz an der Ecke Ludwigstraße/Nordstraße ihren Namen. Er wurde 2021 u.a. mit finanziellen Mitteln – 100.000 Euro – des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung umgestaltet. Somit erhielt Helene Weber als eine der vier Mütter des Grundgesetzes auch in Wuppertal mit dem neuen Denkmal eine größere Würdigung.
Elke Brychta
Quellen:
Bettecken, Wilhelm: Helene Weber, in: Wuppertaler Biographien, 14. Folge, Wuppertal 1984, S. 84-89
Büttner, Annett: Die christliche Frau: Helene Weber und die katholische Frauenbewegung, Düsseldorf 2006
Helene-Weber-Denkmal, in: https://www.denkmal-wuppertal.de, (Stand: 9.7.2022)
Katholischer Deutscher Frauenbund e.V. (Hg.): Helene Weber – Ernte eines Lebens, Köln 1961