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Ingeborg Küster
Ingeborg Küster, geb. Matilda Antonia Andreas, erblickt das Licht der Welt am 17. Mai 1909 im Wöchnerinnenheim in Barmen (heute ein Stadtteil von Wuppertal). Die selbstbewusste, streitbare und mutige Pazifistin und Journalistin stirbt hochbetagt am 13. April 2004 in Wuppertal.
Ingeborg ist noch ein Kind, als die Familie Andreas 1918 aus ihrer damals noch selbstständigen Geburtsstadt im bergischen Wupper-Tal nach Norddeutschland übersiedelt, wo der Vater Parteisekretär der SPD für den Bezirk Niederelbe wird und außerdem ab 1923 als Gemeindevorsteher von Altkloster, einem Ortsteil von Buxtehude, tätig ist. Die bereits in jungen Jahren durch ihr Elternhaus politisch wache Tochter besucht das Lyzeum in Harburg an der Elbe. Anschließend zur Höheren Töchterschule will sie nicht. Auch der elterliche Haushalt kommt nicht in Frage. Stattdessen arbeitet Ingeborg Andreas durch väterliche Vermittlung für eine Weile im örtlichen Standesamt, atmet den bürokratischen Duft von Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden, lernt Schreibmaschine schreiben und telefonieren – und sehnt sich nach einer Tätigkeit, die sie wirklich erfüllt. Der Generaldirektor der Winter’schen Papierfabrik in Altkloster, seinerzeit das größte örtliche Unternehmen, bietet der Vierzehnjährigen eine Stelle im Büro an. Hier lernt sie Stenografie, arbeitet nach dem Konkurs in einer Radiofirma in Hamburg, danach in Horneburg und Stade.
Tango, Bubikopf und Politik gehören in den 20ern zum Leben auch von Ingeborg Andreas. Was sie will, weiß die Eigenwillige damals schon ganz genau: auf eigenen Füßen stehen, unabhängig sein – und in die Fremde. Kaum 18jährig, bewirbt sie sich mit väterlichem Einverständnis als Schreibkraft und arbeitet für knapp ein Jahr in einem Koblenzer Kontor. 1928 dann die Gelegenheit, auf die sie so lange gewartet hat: Die pazifistische Zeitschrift Die Menschheit braucht für ihre Redaktion in Wiesbaden eine tüchtige und zuverlässige Stenotypistin. Knapp anderthalb Jahre bleibt sie im Hessischen, wird danach Sekretärin von Fritz Küster, dem geschäftsführenden Vorsitzenden der Deutschen Friedensgesellschaft in Berlin und wechselt im Sommer 1929 zu der von ihm herausgegebenen Wochenzeitung Das Andere Deutschland. Aus der Sekretärin wird bald eine Redaktionsassistentin, die Interviews führt und Feierabend-Vorlesungen an der Berliner Hochschule für Politik belegt. Und aus der beruflichen entsteht mit der Zeit auch eine private Beziehung zwischen Ingeborg Andreas und dem zwanzig Jahre älteren Fritz Küster.
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Mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 wird Das Andere Deutschland verboten, das Redaktionsbüro verwüstet, Fritz Küster im März verhaftet und für die folgenden fünfeinhalb Jahre in den Konzentrationslagern Oranienburg, Lichtenburg und Buchenwald inhaftiert. Seine seit 1934 (im KZ Oranienburg) mit ihm Verlobte, nach anfänglicher Arbeitslosigkeit in diversen Betrieben für deutsche und englische Korrespondenz verantwortlich, gibt nicht auf. Mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln setzt Ingeborg Andreas alle Hebel für Fritz Küsters Freilassung in Bewegung, nicht zuletzt auch bei ihren ausländischen Friedensfreunden und Kriegsdienstgegnern in England, wohin sie in den Folgejahren mehrfach reist.
Auch einen Urlaubsaufenthalt in Paris 1937 nutzt sie für Kontakte mit Emigranten. Ihre Beziehung zum französischen Nachbarland reicht bereits Jahre zurück und wurzelt nicht zuletzt in der Korrespondenz mit dem von ihr hochverehrten pazifistischen Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Romain Rolland.
Immer wieder schreibt Ingeborg Andreas Eingaben an die verantwortlichen Nazi-Dienststellen. Unbeirrbar und mit naiver Kaltblütigkeit sogar an “SS-Reichsführer“ Heinrich Himmler persönlich. Unglaublich, aber wahr: Ihrem Antrag wird tatsächlich stattgegeben: Am 16. März 1938 erhält sie eine Sprecherlaubnis. Und nicht nur das: Auch ihrer Bitte (als berufstätige Frau), den Besuch von einem Wochen- auf einen Sonntag zu verlegen, wird entsprochen. Am 27. März 1938 besucht sie für eine halbe Stunde ihren Verlobten im nahe bei Weimar gelegenen Konzentrationslager Buchenwald. Fünf Monate später wird Fritz Küster unter Auflagen aus der KZ-Haft entlassen. Am 17. Dezember desselben Jahres heiraten er und Ingeborg Andreas in Hannover. 1939 wird ihre Tochter geboren. Fünf Jahre später ein Sohn. Die Familie überlebt den Krieg auf dem Land. Im Frühjahr 1944 erleidet Ingeborg Küster bei einem Fliegerangriff infolge eines Sturzes eine Hüftverletzung, an deren Folgen sie zeitlebens leiden wird. Fast alles haben die Eheleute verloren – nicht aber ihren Widerstandsgeist.
Nach Ende von Hitler-Barbarei und Zweitem Weltkrieg darf die pazifistische Zeitung 1947 wiedererscheinen. Die „Wirtschaftswunderjahre“ der 50er bescheren den einen Wohlstand – den anderen die “Grüne Minna“ (das in jenen Jahren gebräuchliche Polizeifahrzeug zum Transport von Verhafteten und Gefangenen). Mehr als einmal macht auch Ingeborg Küster Bekanntschaft mit Polizei und Verfassungsschutz. Sie will, dass es nie wieder Krieg gibt!
Dabei hatte sie anfänglich keine Ambitionen zu einem Engagement in der Frauenfriedensbewegung und reagiert auf eine Einladung zum 1951 in Velbert stattfindenden “Kongress der Frauen und Mütter für den Frieden“ zunächst sehr zögerlich. Aber sie folgt der Einladung – und ist vom Enthusiasmus der Frauen gegen die Remilitarisierung der jungen Bundesrepublik beeindruckt. Aus Ingeborg Küster wird fortan eine der profiliertesten Vertreterinnen des Aufbegehrens gegen Rüstung und Krieg, und aus dem anfänglich kleinen Pflänzchen wächst bald jene widerstandsfähige Pflanze, deren Name sich wie ein Stachel ins Fleisch aller Militaristen und Revanchisten bohrt: die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung (WFFB), deren geschäftsführendem Vorstand und Präsidium sie fortan angehört.
Ingeborg Küster ist stets ganz vorn mit dabei, redet und schreibt an gegen Wiederbewaffnung und Notstandsgesetze. Nimmt kein Blatt vor den Mund – und gerät regelmäßig mit der Staatsgewalt aneinander (zu den engagierten Verteidigern der unbequemen Frauen jener Zeit gehört übrigens u.a. auch der Anwalt und spätere NRW-Justizminister Dr. Diether Posser). Sie spricht auf internationalen Friedenskongressen, pflegt Kontakte zu Frauenorganisationen weltweit und unternimmt zahlreiche Auslandsreisen (z.B. nach Ägypten, Kuba, in die UdSSR, CSSR, Polen und in die DDR). Seit 1960 engagiert sie sich auch parteipolitisch in der “Deutschen Friedensunion“ (DFU), wird Niedersächsische Landesvorsitzende und kandidiert 1965 für den Deutschen Bundestag. Mitte der 70er Jahre gehört Ingeborg Küster zu den Mitbegründerinnen der Demokratischen Fraueninitiative (DFI). Neben Artikeln für den DFI-Rundbrief (später “Wir Frauen”) schreibt das Redaktionsmitglied von “Frau und Frieden“ regelmäßig für die im Fritz-Küster-Verlag erscheinende Monatszeitung der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung – ein Fulltime-Job, der sie ausfüllt, aber die seit langem gesundheitlich eingeschränkte Journalistin auch immer wieder an ihre körperliche Leistungsgrenze bringt. Die Schlaganfall-Erkrankung ihres Mannes bürdet der streitbaren Pazifistin, Journalistin und zweifachen Mutter bald auch noch die redaktionelle Verantwortung für Das Andere Deutschland auf. 1966 stirbt Fritz Küster. Seine Zeitung wird ihn nur um wenige Jahre überleben. 1974 erscheint dann auch die letzte Ausgabe von “Frau und Frieden“.
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“Es ist genug!“ hat Ingeborg Küster eines ihrer Bücher übertitelt. Aber: Kann man jemals aufhören, für den Frieden zu kämpfen? Für die Streitbare undenkbar, denn Frieden ist für sie niemals ein statischer Zustand, sondern immer gefährdet. Und so engagiert sich die Seniorin, zurückgekehrt auf den Barmer Rott (Veilchenstraße) in ihrer Geburtsstadt an der Wupper, auch noch im Un-Ruhestand und oft unter Schmerzen, für ihre pazifistischen Ideale.
Im Alter von fast 95 Jahren stirbt die – für ihr Engagement u.a. 1974 mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille des Friedensrates der DDR ausgezeichnete – Pazifistin, Journalistin und Autorin. Ingeborg Küsters umfangreicher Nachlass befindet sich im Archiv der Deutschen Frauenbewegung in Kassel. Während sich in Wuppertal ihrer nur noch einige Wegbegleiter erinnern, trägt in der norddeutschen Hansestadt Buxtehude seit 2020 eine Straße den Namen der Protagonistin der Westdeutschen Frauenfriedens-Bewegung.
Text: Ulrike Müller
Verortung:
Verortet wird Ingeborg Küster Humboldtstr. 15, Barmen (Adresse der Eltern 1909); geboren ist sie im Wöchnerinnenheim in Barmen – laut Stadtarchiv Wuppertal ist hierzu keine Adresse vorhanden.
Quellen:
Küster, Ingeborg: Politik – haben Sie das denn nötig? Autobiografie einer Pazifistin, Hamburg: Buntbuch-Verlag 1983
dies.: Es ist genug! Überlebens-Erinnerungen einer Pazifistin, Hamburg: Buntbuch-Verlag, 1986
dies.: Auf dem Prüfstand. Die Frau eines Widerstandskämpfers gibt Auskunft, Berlin: Frieling 1993
https://addf-kassel.de/online-angebote/dossiers-personen/ingeborg-kuester vom 24.01.24
https://de.wikipedia.org/wiki/Ingeborg_K%C3%BCster vom 24.01.24
https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/ingeborg-kuester vom 24.01.24
http://hannover.vvn-bda.de/hfgf/h4_02_IngeborgKuester.htm vom 24.01.24
https://www.avm-verlag.de/res/user/avm/media/9783960915959-hertrampf-kuester.pdf vom 24.01.24
https://www.buxtehude.de/allris4/vo020?VOLFDNR=2255&refresh=false vom 24.01.24
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Westdeutsche_Frauenfriedensbewegung vom 14.02.24
2 Kettig, Alma: Verpflichtung zum Frieden, Schriftenreihe des Fritz Küster-Archivs, Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg 1990, S. 142 – 147
3 https://digitales-deutsches-frauenarchiv.de; hier Westdeutsche Frauenfriedensbewegung, vom 14.02.24
4 ebd. s. 3.